2004er Francois Chidaine Vouvray Clos Baudoin



Weh-Weh-Weh Willis Wein Werkstatt

Heute auf der Hebebühne: 2004er Francois Chidaine Vouvray Clos Baudoin

Deutschland sucht wieder einmal. Natürlich den „Superstar“. Das kennen wir ja schon. Darf man auf keinen Fall wörtlich nehmen, diese Art des Stardaseins. Eigentlich geht es im Wesentlichen darum, Herrn Bohlen einen Vorwand dafür zu liefern, jene gerade mal wieder auf freiem Fuß herumirrendenden Hafturlauber, Ganzkörpertätowierten und Andersbegabten öffentlich zusammenzuscheißen, die nun wirklich auch bei bestem Willen nur noch als talentfreie Zone betrachtet werden können. Millionen Sozialspanner und Schadenfrohe schauen fasziniert zu, wenn die Superopfer das weg bekommen, was auf RTL 2 zeitgleich irgendwelchen anderen Irren abgesaugt wird – nämlich ihr Fett.

Irgendwann wird dann nach nicht enden wollenden Ausscheidungssendungen (Ausscheidung ist hier im Sinne von Exkrement zu verstehen) natürlich kein Superstar gekürt, sondern eher eine Art Pausenclown, der genau so lange bei RTL eins, zwei und drei televisionäres Gnadenbrot fressen darf, wie der Knebelvertrag läuft und die Gewinne an die Produktionsfirma abgeliefert werden müssen. Spätestens bei der nächsten Staffel, knapp zwölf Monate darauf, gerät der „Superstar“ wieder dorthin, wo er besser geblieben wäre – in Vergessenheit. Vielleicht gibt es irgendwann noch einmal eine kurze Auferstehung im Dschungelcamp oder beim Frauentausch, das war es dann aber auch. Als Ersatz wird mit hoher Zuverlässigkeit eine neue bunte Palette von Menschen vorgeführt, die ohne Bewährungshelfer oder Ergänzungspfleger eigentlich nicht auf die Bühne dürften.

Neben dem Superstar suchen wir natürlich auch noch den „Star für Baku“, auch wenn das erstmal klingt wie ein rostiger Heizöltanker. Und dann ist da noch das völlig neue, völlig andere Format „The Voice of Germany“. Die Stimme von Deutschland. Herrjeh! Nächstes Jahr wird dann wahrscheinlich die Zweitstimme gewählt. Und so weiter! Fällt denen denn gar nichts anderes mehr ein? Sollte man diese Sendungen nicht aus Effizienzgründen fusionieren? Vielleicht gleich europaweit? Und die Erlöse packen Merkozy dann in irgendwelche Rettungsbildschirme. Zur Absicherung des televisionären Niveaus? Manchmal erscheint die Weltuntergangsprophezeiung der Maya nicht als Drohung, sondern als mögliche Erlösung.

Aber – wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Weinstein! Auch bei mir zuhause gibt es immer wieder mal einen kleinen Wettstreit, wer denn am meisten zu sagen habe und wer sich dabei denn am poetischsten ausdrücken könne. Bei mir treten dann aber echte Flaschen an, also solche aus Glas, die die Etikette beherrschen und Etiketten tragen. Diese Woche stand die Wahl zu „The Voice of France“ an. Und es gab einen Überraschungssieger, den Clos Baudoin 2004, einen Vouvray von Francois Chidaine.

Der Herr Chidaine bringt ja recht zuverlässig sehr gute Vouvrays zustande. Zugegeben, das geht noch besser, an die legendären Tröpfchen der Huets reicht Chidaine selten heran. Dafür liegen seine Weine preislich auch noch etwas günstiger. Außerdem muss man zu ihm schon deswegen fahren, weil er in seinem Troglodytenkeller in Montlouis nicht nur die eigenen Weine verkauft, sondern nebenher noch ein großartiges Sortiment von Spitzenweinen aus allen anderen Loire-A.O.C.s vorhält. Zu sehr fairen Preisen übrigens.

Aber dieser Clos Baudoin, was ist denn das? Bitteschön, liebe Leser, das ist jetzt keine rhetorische Frage, ich bekam das erste Glas blind auf den Tisch und wusste wirklich nicht, um was es sich handelte. Nur dass es Weißwein auf Frankreich sein sollte, das war klar. Und dann geht man natürlich alle Möglichkeiten durch, unter anderem auch das Loiretal. Aber das ist doch kein Vouvray! Niemals! Obwohl – von der Nase her könnte es fast einer sein. Leicht mürber Apfel, etwas steinobstig, durchaus cheninig. Allerdings eher mit Feuerstein im Fundament als mit Loirekreide. Wobei diese Mineralik recht sprunghaft ist, mal katapultiert sie sich geradezu aus dem Glas und bearbeitet die Nasenscheidewand wie Klitschko seinen Sandsack. Dann wieder pianissimo, flüstert sie nur ein wenig im Hintergrund, während vorne die Frucht ihr Solo singt. Also, ganz klar, kein Vouvray. Aber was dann?

Am Gaumen, na klar, da ist es dann ganz deutlich – eine Roussane von der Rhone. Floral, ölig, dicht. Irgendwie wirkt das auch viel alkoholischer als die 12 Prozent, die ich am Ende auf dem Etikett vorfand. Ohne dass der Alkohol freilich stechend gewesen wäre – das Florale subtrahiert einfach ein wenig an Frische und lässt ihn breiter und alkoholreicher wirken als er tatsächlich ist.

Gerade das macht ihn so interessant – zwischendrin wirkt er zeitweise fast wie ein Viognier, weil sich plötzlich auch Honig und Quitte einstellen. Das aber kommt wieder das Buttrige einer ganz leicht geholzten Roussane in den Vordergrund. Sehr lang, ungemein voll, was für ein Wein. Auch die Tiefe fehlt ihm nicht, der singt da wirklich fast schon ein Lied. Und zwar eines mit mehreren Strophen und einem beachtlichen Spannungsbogen, denn da tut sich im Glas über Stunden immer wieder etwas. Toller Abgang, der mit Luft noch ein wenig dichter wird. Sehr eigenwillig und absolut atypisch für einen Loire-Chenin aus Vouvray oder Montlouis. Donnerwetter hat der mich in der Nase herumgeführt! Fast muss man schon von Sirenengesang sprechen. Klarer Sieger – zumindest mal über meinen Weinverstand! 88 von 100 Willipunkten.

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