Hausbesuche: Heute zu Gast in Gigondas
Weh-Weh-Weh Willis Hausbesuche
Heute zu Gast in Gigondas – Maison du Vin und Pierre Amadieu
Franzose müsste man sein! Da sorgen die Gewerkschaften dafür, dass la vie belle bleibt und eher fleuve tranquille als Abenteuer. Nur mal so als Beispiel seien die Lokführer erwähnt. Die Jahr um Jahr dafür streiken, dass ihnen die Zulage fürs Kohlenschaufeln erhalten bleibt. Nicht, dass irgendeiner von denen noch auf der Dampflok gefahren wäre. Die einzigen Kohlen, die da geschaufelt werden, sind die Euros der Bahngesellschaft in die Taschen der Lokführer. Aber die Zulage ist ein Gewohnheitsrecht. Wer sich daran vergreifen will, kann gleich zum Sturm auf die Cedille blasen, dieses lästige kleine Häkchen unten am „c“, das sich auf kaum einer Computertastatur außerhalb von Frankreich findet und gerade deswegen wahrscheinlich zum nationalen Patrimoine zählt.
Noch ein Beispiel gefällig? Gerne! Der Leiter des Postamts von Gigondas dürfte einen Job haben, um den ihn selbst die werbeamtlich anerkannten Faulenzer von Jack Daniels noch beneiden. Die Öffnungszeiten seines Postamts sind monumental. Von montags bis freitags muss er jeweils von 13:30 bis 15:30 Uhr hinter dem Schalter stehen. Ob zwischendrin, wie in Frankreich üblich, vielleicht auch noch eine kleine Mittagspause gemacht wird, bleibt dem staunenden Betrachter ebenso unbeantwortet wie die Frage, ob eine Zulage fürs Kohlenschaufeln gezahlt wird.
Damit in der Post von Gigondas endlich mal dieselbe abgeht, hat man kürzlich im Untergeschoss die örtliche Maison du Vin einquartiert. Deren eigentliches Domizil während eines guten halben Jahres um- und ausgebaut wird. In der Zwischenzeit stört man eifrig den Büroschlaf des Postlers und bietet wie gewohnt praktisch alle Weine des Anbaugebiets zur Verkostung sowie – zu Erzeugerpreisen – auch zum Einkauf an.
Ich mache hier gewohnheitsmäßig auf dem Rückweg von meinen Frankreichreisen Station. Oft ist im dritten oder vierten Untergeschoss des Willimobils noch Platz für ein paar Flaschen guten Rotweines. Und da wird man in Gigondas ganz gut geholfen. In diesem Jahr freilich dominierte im Angebot der Maison du Vin der 2008er-Jahrgang. Den selbst wohlwollende Strategen wie Bettane und Dessauve nur mit zwei von fünf möglichen Punkten einstufen. Nachdem der 2007er noch volle fünf Punkte eingefahren hatte. Also dürfte der 2008er ein „mittlerer“ Jahrgang sein. Mit anderen Worten ein kleiner Jahrgang, denn keinen Stern oder einen Stern haben die großzügigen Weinjournalisten seit Menschengedenken nicht mehr an einen Jahrgang vergeben. Schlechter als 2008 geht also kaum. Keine guten Auspizien für eine freudenreiche Probe.
Und noch eines: Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Gigondasse nicht mehr so auftrumpfen wie früher. Die A.O.C. scheint ein wenig stehen geblieben, während ringsum die Villages-Appellationen heftig daran arbeiten, ihre Image aufzupolieren und ihre Weine zu modernisieren. In Gigondas erscheinen mir die Weine vielfach deutlich zu oxidativ ausgebaut, entfalten wenig Charme und zeigen auch keine wirklich moderne Stilistik. Dafür geht der Trend zur Nobelcuvée. Eine durfte ich verkosten, für die werden 40 Euro aufgerufen. Hätte ich mich nicht mit eigenen Augen vom Gegenteil überzeugen können, hätte ich hohe Wetten abgeschlossen, dass mir ein zweites Mal aus der Generique-Flasche eingeschenkt worden sei, für die ebenfalls schon stolze bis utopische 20 Euro auf dem Preiszettel standen.
Da meine alten Favoriten Montvac, Raspail-Ay und Grand Romane (Pierre Amadieu) in der Vinothek allesamt nur mit dem 2008er vertreten waren, schoss den Vogel wenig überraschend wieder einmal der Les Hauts de Montmirail von Brusset ab – denn davon war bereits der 2009er im Sortiment. Wie immer mit perfektem Holzeinsatz, wie immer ungemein rund, weich, samtig und fruchtbetont. Und wie immer sehr früh zugänglich, was leicht den irrigen Eindruck geringer Haltbarkeit erweckt könnte. Doch habe ich erst vor kurzem mit Genuss den 2000er probiert, der noch immer wunderbar frisch und harmonisch wirkt. Die Tropfen von den Brussets sind einfach Weine, die diese unvergleichliche Trinkigkeit über viele Jahre transportieren. Ein richtiges Kunststück!
Eine gute alte Tradition der Maison du Vin ist die Tatsache, dass die Einschenkerin keine Empfehlungen abgibt. Sie ist ja für alle Weingüter da und käme in Teufels Küche, wenn sich herumspräche, dass sie Favoriten hätte. Doch Traditionen bröckeln manchmal. Und ich habe mich nicht wenig amüsiert, als sie, immer ganz leise, immer ganz vorsichtig, zwischen ihren offiziellen Ansagen der einen oder anderen Anmerkung zustimmte, die ich machte – über zu heftigen Holzeinsatz hier oder zu geringe Überzeugungskraft einer Nobelcuvee dort. So wagte ich dann auch die Bitte, mir, wenn sie denn schon keinen Wein herausheben oder gar empfehlen dürfe, wenigstens zu sagen, welcher Tropfen denn jemandem schmecken könne, der wie ich den Les Hauts de Montmirail sehr mag.
Wer so heftig mit ganzen Zäunen winkt, bekommt manchmal brauchbare Antworten. So kamen wir auf den 2009er Tonin. Einen Wein, der eine heftige Barriquekeule schwingt. Ich war schon drauf und dran, ihn dafür zu verdammen, da regte er sich im Glas, streckte sich, reckte sich und wurde plötzlich deutlich zugänglicher. Ein Fall für einen Stasi-Einsatz: Das muss beobachtet werden. Also auch davon ein paar Flaschen ins Souterrain des Willimobils, man ist ja kein Kostverächter.
Auf der Fahrt zurück zur Hauptstraße fiel mir rechts des Weges das neue Verkostungslokal von Pierre Amadieu ins Auge. Irgendwie wollte ich dem eine Chance geben, sich für den dünnen 2008er in der Maison du Vin zu rehabilitieren. Wer weiß, vielleicht haben die auf dem Gut ja sogar schon den 2009er zur Verkostung? Vor den Grand Romane haben die Götter aber den Romane Manchotte gesetzt, den Roten vom zweiten Weingut der Amadieus. Insgesamt besitzen die mit ihren beiden Gütern 130 Hektar, das sind immerhin glatte zehn Prozent des Gigondas-Gebiets! Zur Verkostung stand der 2007er Manchotte bereit, ein saftiger, kirschiger Wein mit stark schokoladigem Einschlag, prima balanciert zwischen Syrah und Grenache. Nur 14 Euro, ein Schnäppchen für so einen idealtypischen Gigondas bester Art.
Und dann, tatsächlich, vom Grand Romane hatten die Amadieus schon den 09er im Ausschank. Hach, da war er wieder, mein Liebling der vergangenen Jahre. Elegant und dennoch dicht. Sehr, sehr nachhaltig, viel bröckelige Schokolade, weiche Tannine, hoher Syrahanteil, es hagelt rote Frucht. Nur 13 Euro, viel Rotwein fürs Geld. Wenn doch alle in Gigondas so arbeiteten, dann wäre die AOC fast schon auf Augenhöhe mit Chateauneuf.
Der freundliche Mann im Ausschank fragte zwinkernd, ob ich denn etwa auch noch die neue Cuvée probieren wolle, die es in der Maison du Vin noch nicht gebe. Genauso gut hätte er einen Jesuiten fragen können, ob er kleine Jungs mag. Na klar, her damit! „Vol d´Aigle“ heißt die neue Edelcuvee, ausgeschenkt wurde der 2006er, eigentlich ein nicht ganz einfaches, weil recht tropisches Jahr, mit oft zu breiten Weinen, denen die Säure fehlt. Vielfach gab es mit dem Lesegut auch Fäulnisprobleme. Doch die Amadieus haben perfekt gearbeitet, ein ungemein komplexer, voller Wein stand im Glas, keine Spur botrytisch-sauerfaulen Einschlags, nicht einmal wirklich oxidativ kam der Wein daher, obwohl die niedrige Säure ihm natürlich das große Alterungspotenzial genommen hat. Bald trinken, diese Wuchtbrumme, die fast eine Spur banyulsisch-portig wirkte, wird kräftigen Käsen ein großartiger Begleiter sein.
Das wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen, langsam aber sicher die Segel zu streichen. Doch der junge Mann hinter dem Tresen bestand geradezu darauf, nun auch noch seine beiden Rosés zu degustatorischen Ehren zu bringen. Bisher hatte ich aus Gigondas noch keinen wirklich überzeugenden Rosé gekostet, insofern war meine Erwartungshaltung eher auf organoleptische Körperverletzung als auf das ausgerichtet, was ich im Glas vorfand. Schon der Landwein, 3,50 Euro die Flasche, überzeugte mich als süffiger, spaßiger Tropfen, ohne großen Tiefgang. Ein wirklich toller Sommerwein für Abende, an denen die Hauswand die Mittagssonne noch über Stunden abstrahlt und die eigenen Innereien permanent stark gekühlt werden müssen, um eine Balance ins Raum-Zeit-Kontinuum zu kriegen. Gibt’s auch als Bag in Box, herrlisch! Der Rosé Gigondas A.O.C. baut auf den Landwein kein ganz großes Haus mehr. Trotzdem war es natürlich der weitaus tiefere und edlere Tropfen. Für 10 Euro ein guter Kauf, weil lang, elegant und ungemein charmant.
Wieder machte ich eine Bewegung in Richtung Tür. Keine Chance! Der junge Mann meinte, er wolle mir – juste pour le plaisir – schnell noch die beiden Weißweine kredenzen. Das mit dem Plaisir kenne ich natürlich. Ists wirklich ein solches, bleibts nicht beim selben. Sondern werden Einkäufe getätigt und kostbare Kellerflächen belegt. Aber, was hilfts? So fuhr zunächst der 2010er Landwein auf, komplett aus Viognier gekeltert. Fast ein kleiner Condrieu, auch wenn wir hier nicht übertreiben wollen. Aber für 3,80 Euro so ein Weißwein? Das ist ein Partyknaller, denn der schmeckt praktisch jedem. Zumal der Viognier hier nicht so ölig und breit daher kommt, sondern leichter, frischer und sommerweiniger als im Condrieu. Also noch ein Dutzend Flaschen auf den Dachgepäckträger des Willimobils und schnell aus dem Weingut geflohen, bevor da noch weitere Weine entkorkt werden und der Achsbruch droht.
Immerhin, der Besuch bei Amadieu versöhnte mich wieder ein wenig mit der A.O.C. – sicherlich stagniert man auf einigen Gütern, die Könner der Appellation holen in guten Jahrgängen aber Beachtliches aus ihrem Terroir heraus. Da werden ich wohl doch weiter am Ball bleiben müssen.
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