Hausbesuche: Ascheri in Bra und Pira e Figli in Barolo, Piemont





Weh-Weh-Weh Willis Hausbesuche

Heute zu Gast bei: Ascheri in Bra und Pira e Figli in Barolo, Piemont

Im Herbst gehen die Großen dieser Welt auf Reisen. Da begibt sich zum Beispiel der Ratzingerjupp auf einen kleinen Staatsbesuch an die Spree. Und der Weinigel, der weiß ja, was sich gehört, und macht einen Gegenbesuch in Italien. Wobei, was heißt schon Italien, der Weg ist das Ziel, wenn der Weinigel auf Tournee ist. Ausverkaufte Häuser, wo auch immer das Willimobil anlandet! Eine Weinseeligsprechung hier, eine Weinmesse am Trittenheimer Altärchen dort. Selbst durch die Hochheimer Hölle führt der Weg. Den ersten längeren Halt machte ich aber erst im Piemont, genauer gesagt im Gebiet von Barolo.


Dort hatte mir ein österreichischer Freund das Haus Ascheri empfohlen. „Die haben exzellente Weine, noch sehr bezahlbar, weil sie noch nicht so bekannt sind“, meinte der Weinrat aus Wien. „Und das ist nicht alles, außerdem gehört den Ascheris ein prima Hotel gleich am Weingut. Und das ist noch immer nicht alles, direkt nebenan haben die ihre Osteria, ein einfaches aber recht gepflegtes Restaurant, wo man nach vollbrachter Weinprobe wunderbar essen kann.“ „Ist ja gut, ist ja gut, bevor Du noch sechs Steakmesser und einen Saugblaser Heinzelmann drauflegst, schlage ich lieber sofort ein, ich fahre hin“, beruhigte ich den Weinrat, der sich vor lauter Mitfreude an meiner Reise kaum noch einkriegen konnte und am liebsten gleich mit ins Willimobil gestiegen wäre. So isser, der Weinrat, er kann einfach gönnen und wäre damit sogar als Kölner brauchbar, falls er mal Asyl benötigt.

Zumal er nicht übertrieben hatte. Das Hotel der Ascheris in Bra war mir ein gutes Basislager für meine Kletterein durch die oenologischen Steilwände des Piemont. Moderne Architektur, großzügige Zimmer mit viel Stil, perfekter Service, wobei mir vor allem die zuverlässige Unterstützung bei der Vorbereitung der Weingutsbesuche in Erinnerung bleiben wird. Irgendwie haben die mir angesehen, dass ich hier nur eines wollte – probieren, probieren, probieren und so viele Weine und Weingüter wie möglich heimsuchen. Also wurde keine Zeit verloren. Um 17:00 Uhr landete ich an und wurde gleich gefragt: „Möchten Sie vielleicht heute abend noch eine Probe hier im Haus und eine kleine Kellerbesichtigung machen?“ Mochte ich! So wurde ich für 18:00 Uhr vorgeladen. Eine Stunde Führung vom Juniorchef, danach ausführliche Verkostung unter fachkundiger Kommentierung der Seniorchefin. Ich habe alles probiert. Und das war nicht wenig. Denn die Ascheris haben so ziemlich das volle Piemont-Programm im Angebot. 240.000 bis 300.000 Flaschen werden im Jahr gefüllt, das ist unter den Barolowinzern schon ein ziemliches Wort. Dabei zählt das Gut zu den Traditionalisten, d.h. auch die edelsten Tropfen werden nicht im Barrique ausgebaut, sondern im großen Holz sorgfältig zur Reife gebracht.

Die Spitzen muss man sich aber erst verdienen. Eine ordentliche Piemont-Probe beginnt mit dem Dolcetto. Kein schlechter Wein! Ein wenig lambruskig, dachte ich erst, weil er in seiner jugendlichen Frische fast noch ein wenig zu perlen schien. Und so richtig schön kirschfruchtig daherkam. Aber, man gebe ihm Zeit, nach ein paar Minuten beruhigte sich das und der Wein entfaltete noch ein, zwei Schichten zusätzlicher Tiefe und Komplexität. Noch immer kein Monument, aber für einen Brot und Butter-Tropfen doch bereits etwas Feines. Dem konnte ich am Abend noch ein wenig nachgehen, denn auf dem Zimmer stand als „Betthupferl“ plötzlich ein Fläschchen Dolcetto. Zum Zähneputzen, oder so.

Eine Etage drüber steht dann der Barbera. Wow, der kann etwas! Selten habe ich einen so vollen Barbera getrunken. Fruchtig, muskulös, viel Fleisch und eine Spur Mineralität obendrauf – das Ganze mit einer Opulenz, die einen ersten Anflug von Andacht im Probenraum verbreitete, in dem sich inzwischen auch noch ein paar andere Gäste der Ascheris eingefunden hatten.

Dann die – tja, was nun – wie heißt denn gleich noch mal der Plural von Barolo? Die Barolos? Die Baroli? Wahrscheinlich alles falsch. Barolo ist so machtvoll, davon gibt es keinen Plural. Es gibt ja auch keinen Plural von Heiland. Highländer? Nee, es kann nur einen geben! Der kleinste Ascheri-Barolo heißt Pisapola, kostet gerade einmal 22 Euro und kam aus den beiden exzellenten Jahren 2006 und 2007 ins Glas. Verspielt, so leicht wirkend und dabei so nachhaltig und lang am Gaumen, das macht Freude. Vielleicht ist der 2006er eine kleine Spur kraftvoller, der 2007er dafür noch ein Spürchen eleganter und feiner? Schwer zu sagen, beide beeindrucken mit ihrem Spiel und ihrer Fülle.

Eine drüber steht der Sorano, der mit 26 Euro zu Buche schlägt. Etwas erdiger vielleicht, etwas fleischwürziger, auf jeden Fall noch etwas kraftvoller und auch mit etwas ausgeprägterer mineralischer Note. Wieder gab es beide Jahrgänge, 06 und 07, zu verkosten und wieder fiel es schwer, sich zwischen beiden zu entscheiden. Muss man ja aber nicht. Alles eine Frage der Kofferraumgröße. Und so ein Willimobil ist ja voll unterkellert!

Das ist auch gut so, denn der Spitzenbarolo des Hauses, der Sorano Coste e Bricco, den es hintendrauf noch gab, der baute noch einmal ein Haus auf die Vorgänger! Wir hatten diesmal nur den 06er am Start. Der zeigt sich dicht, tief, ewig lang, ein Monument von einem Wein. Unfassbar konzentriert. Und, ganz typisch Barolo, er wirkt im ersten Moment so zart, so fein und so harmlos. Dann wächst er am Gaumen langsam empor, wird immer vielschichtiger und größer. Sagenhaft, da bewegen wir uns schon in der Nähe von 95 Willipunkten. Und in der Liga, in der die Gajas und Conternos spielen. Allerdings deutlich günstiger, denn die Ascheris rufen für den 06er wie den frisch in den Verkauf gekommenen 07er jeweils nur 35 Euro die Flasche auf. Ich nahm auch noch zwei Flaschen vom 1997er mit, ebenfalls ab Gut noch zu haben, für gerade einmal 50 Euro.

Danach gab es einen Syrah. Da musste ich schon ein wenig schmunzeln. Denn zu gut waren mir die Vorträge des Juniorchefs noch im Ohr – „bei mir gibt es dieses neumodische Zeug nicht, keine Barriques, keine internationalen Rebsorten, nur das, was wir im Piemont schon immer hatten“. Wieder ein Lernerfolg, Syrah stammt also aus dem Piemont und war schon immer hier vertreten… Egal, das Zeug war ganz phantastisch, viel Substanz, durch den Ausbau im großen alten Holz auch nicht neuweltig-barriquig-beliebig, sondern mit dem Charakter der Sorte und irgendwie auch einer Spur des Piemontterroirs unterwegs, etwas ganz Besonderes. Ein Sixpack vom 2006er wanderte ins zweite Untergeschoss meines rollenden Weinkellers.

Und noch ein Bruch mit der Piemont-Tradition – fahren die doch plötzlich mit einem Überraschungsangriff am Ende der Probe noch einen Viognier aus dem neuen großen Holz auf! Zu dem hatte mich der Weinrat aus Wien schon gewarnt, der um meine Abneigung gegenüber geholzten Weißen nur zu gut Bescheid weiß: „Tu ihn nicht gleich ab, sooo holzig ist er nicht, schmeck mal tief rein“. Des Weinrats Wille war mir Ukas, rein mit der Igelschnauze in den Humpen, tief geschnuppert, ja, da ist Holz, da ist aber auch die feine, leicht confitierte Aprikosenfrucht eines großen Viognier, frische Quitte, etwas süße gelbe Frucht. Das alles schält sich auch am Gaumen hinter dem dezenten Holz hervor. Wird nicht mein Lieblingswein, kommt vielleicht auch nicht an die allergrößten Viogniers von der Rhone heran, die sensationellen Weine etwa, die das Weingut Georges Vernay in den letzten Jahren hervorgebracht hat – aaaber, das stößt man nicht von der Bettkante, ein feiner, saftiger, gut strukturierter Viognier. Prima!

Das war harte Arbeit, auf die ein leichtes Mahl in der gar nicht einmal so schlechten Osteria und das kleine Betthupferl auf dem Zimmer folgten. Und gleich am nächsten Morgen ein Besuch bei Chiara Boschis auf dem Weingut Pira e Figli.

Chiara öffnete uns selbst die Tür und begrüßte uns mit einem lässigen „hi, folks“. Sie erzählte ein wenig vom aktuellen Jahrgang, auf den sie sich sehr freue, weil sie besseres Lesegut eingebracht habe als je zuvor. Das war echte Freude an ihrem Winzerdasein in einem besonders begünstigten Jahr. Und nicht die übliche wortreiche Werbeveranstaltung für den nächsten Jahrgang, der ja bei den meisten Winzern immer der beste ist. Denn wie alle guten Winzer der Region legt auch Chiara auf die dreieinhalb Jahre Mindestkellerzeit beim Barolo noch ein Jährchen drauf – so dass wir das Produkt aus diesem tollen Lesegut erst 2015 werden kaufen können. Und auch dann wird es nicht viel davon geben, denn Chiara füllt gerade einmal 25.000 Flaschen im Jahr. Eine ganz andere Größenordnung als die Ascheris.

Auch sonst macht sie fast alles anders. Denn bei ihr kommen die Barolo ganz selbstverständlich ins Barrique. Und das nicht zu knapp, etwa die Hälfte geht in die Erstbelegung. Wie bei den Ascheris auch ist der Keller hochmodern, mit einem gerüttelt Maß an Baukunst edel ausgestaltet, ein Schmuckstück. Man merkt deutlich, dass die Kassen im Piemont schon seit einigen Jahren recht laut klingeln, viele der Keller sind zu regelrechten architektonischen Schatzkästlein ausgestaltet worden.

Entscheidend ist aber im Glas. Chiara entschuldigte sich und übergab mich für die auf die Führung folgende Probe in die Obhut ihrer Schwägerin, die bereits ein achtköpfiger Rudel Rheingauer zu bewirten im Begriff war. Die verzogen gerade heftig das Gesicht, der Dolcetto war ihnen zu plump und zu simpel. Klar, für das Rudel war es schon die zweite Probe des Morgens und die hatten noch den Spitzenwein vom Nachbargut auf der Zunge, da tut sich ein Dolcetto schon mal schwer. Doch ich musste ebenfalls viel Höflichkeit und mindestens einen Liter Blut aus der mir eigenen ausgeprägten diplomatischen Ader aufbieten, um der optimistischen Schwägerin gegenüber für den Dolcetto die richtigen Worte zu finden. Ohne diese Schulung hätte ich wahrscheinlich knapp und vernichtend festgestellt: „Sehr simpel und völlig uninteressant.“.

Ganz anders der Barbera aus 2009. Ein sehr feiner Wein mit recht hoher Säure, das kennt man von der Rebe. Aber auch mit viel, viel Schmelz und Substanz. Erfreulich dicht! Die Rheingauer blieben mäkelig, warum auch immer, die sollten erst mal versuchen in Assmannshausen etwas Vergleichbares auf die Flasche zu bringen.

Es folgte der Nebbiolo, den die Schwägerin als „kleinen Barolo“ ankündigte. Tu parles! Ein netter Nebbiolo, keine Frage, aber von einem guten Barolo doch weiter entfernt als der Papst vom Kondomeverteilen. Die Rheingauer diskutierten schon, ob sie nicht abbrechen und ein Haus weiter ziehen sollten. „Ruhig bleiben“, mahnte ich, „da kommt noch eine Kleinigkeit“.

Immer brav auf den Weinigel hören, der kennt sich aus. Es kam der erste Lagenbarolo, der Via Nuova aus 2007. Samtig, filigran, ungemein dicht und schon erstaunlich zugänglich wirkend. Ein Wein, an dem man das Wunder des Barolos zumindest in Ansätzen nachvollziehen kann: Warum diese Tropfen, die in der Jugend so leicht und manchmal regelrecht schlicht wirken, dann so monumental und raumgreifend werden. Natürlich hat der Via Nuova sich noch nicht ansatzweise voll entfaltet und kann man nur ahnen, wohin die Reise geht. Doch wie unbeeindruckt dieser Wein das neue Holz wegsteckt, das raubt den Atem. Das zeigt, wie viel Kraft hinter der auf den ersten Schluck unspektakulären Fassade ruht, welche Konzentration und Tiefe der Wein hat. Auf den zweiten, dritten Schluck wird das deutlicher. Zum Glück ließ uns die Schwägerin zwanzig Minuten mit dem Glas allein, so dass wir regelrecht zusehen oder besser zuschmecken konnten, wie immer mehr Fleisch, immer mehr Muskeln an die Oberfläche kamen. 44 Euro kostet der Spaß – und ist jeden Cent wert. So langsam sahen sogar die Rheingauer fast zufrieden aus. „Der könnte was werden“, murmelten sie zögerlich.

Auch der 2006er Via Nuova wurde geöffnet – noch viel jünger wirkend, auch austerer, zugleich reintöniger, mit noch mehr Potenzial und Tiefe. Was für ein Monument. Mindestens fünf Jahre muss der in den hintersten Winkel des Kellers, dann sehen wir mal weiter. 49 Euro, mit Blick auf das wohl noch größere Potential ein gerechtfertigter Preissprung gegenüber dem 07er. Einen der Rheingauer habe ich beim glücklichen Lächeln erwischt, hoffentlich haben seine Reisebegleiter das nicht gemerkt. Eingekauft haben sie vom 2006er jedenfalls alle. Und auch bei mir wanderten beide Jahrgänge ins dritte Untergeschoss des Willimobils, das sich mehr und mehr seiner höchstzulässigen Achslast näherte.

Viel mehr wäre noch zu erzählen, zum Beispiel von Elio Grasso, von Pio Cesare, von Gaja und Conterno. Oder von den Weinen aus der Weinkirche in Barbaresco. Aber abwarten, die Kameraden kommen demnächst alle noch auf die Hebebühne, dann werde ich berichten.

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