Willi Igel Heute: Vierschänkentournee Teil 17 "Arpége"
Paris! Schon wieder Paris! Ausgerechnet
Paris! Brutale Anschläge, über 130 Tote, nicht einmal ein Jahr nach
der Katastrophe von Charlie Hebdo. Paris, ausgerechnet Paris. Wieder
im Namen des Islam, wieder im Namen der Religion. Ausgerechnet in der
Stadt, die wie keine zweite Profil gewonnen hat im Kampf gegen den
Missbrauch der Religion für illegitime Partikularinteressen. In
Paris hat 1789 die französische Revolution ihren Anfang genommen und
damit die erste echte Demokratiebewegung in Kontinentaleuropa. Von
Paris aus wurde der Kontinent von der illegitimen Fürstenherrschaft
befreit. Und nicht nur die weltlichen Fürsten wurden abgeräumt,
auch die Kirchenfürsten. Jene Kirchenfürsten, die über
Jahrhunderte verkündet hatten, ihr Gott wolle es, dass die breite
Bevölkerung darbt, hungert und verarmt, um den Fürsten, den
weltlichen wie den geistlichen, ein Leben in Saus und Braus zu
ermöglichen. Paris hat den Aufstand gewagt. Auch gegen die
geistlichen Fürsten, die sich wohl ähnlich schwer getan hätten, in
der Bibel eine Rechtfertigung für ihre Prunksucht, ihre
Verschwendung und ihr ekelhaft korruptes Leben zu finden wie die
IS-Krieger sich schwer täten, im muslimischen Glauben eine
Rechtfertigung für Mord und Totschlag zu finden.
Paris, die Stadt der Freiheit. Paris
und Frankreich haben uns allen Freiheit und Demokratie geschenkt.
Natürlich ist diese Entwicklung nicht linear verlaufen, hat es
gedauert, bis ganz Europa vom Geiste der Volksherrschaft angesteckt
war. Und natürlich hat es Rückschläge gegeben, auch in Frankreich
selbst, mit dem Überschnappen des Freiheitsgeistes in die
Terrorherrschaft, mit zwei Kaiserreichen und mit der Monarchie von
1815. Aber den Geist der Freiheit haben die Franzosen in Paris und in
Versailles aus der Flasche gelassen und niemandem ist es je gelungen,
ihn wieder in die Flasche zu sperren. Jenen Geist der Freiheit, der
Paris noch über viele Jahrzehnte prägen sollte. Die Befreiung der
Kunst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ging auch von Paris aus. Die
Impressionisten und ihr Gefolge haben den akademischen Lehren den
Stuhl vor die Tür gestellt, haben auch der Kunst die Freiheit
geschenkt. Bürgerliche Motive wurden gesellschaftsfähig, auch auf
der Leinwand und in der Skulptur wurde der Herrschaft monarchischer
und geistlicher Sujets erfolgreich der Kampf angesagt. Jahrzehnte
danach haben die Existenzialisten den nächsten Schritt getan und
sich ganz von Religion zu befreien versucht, Gott für tot erklärt
und den Nihilismus erfunden. Egal ob man diese radikale Sichtweise
teilt oder nicht, sie konnte nur in Paris entstehen, nur dort bestand
die freiheitliche Tradition, die Tabubrüche dieser Größenordnung
erlaubte.
Ja, der Freiheitsgeist steht im
Frankreich von heute nicht mehr ganz so in der ersten Reihe. Denn
Freiheit heißt ja immer auch weniger Staat, weniger Regulierung,
weniger Gerüst. Und im Frankreich von heute hat man sich ganz bequem
mit einem Sozialstaat eingerichtet, von dem man ein
politisch-gesellschaftliches Rundum-sorglos-Paket erwartet. Die
höchste Staatsquote der führenden Industrienationen, die höchsten
Mindestlöhne, die höchsten Renten, die höchsten Steuern, am
meisten Regulierung, das alles ist nicht gerade ein Ausweis von
großer Freiheit und großer Eigenverantwortung. Frankreich ist ein
Land, das ein wenig schizophren zwischen diesem Glauben an den Staat
einerseits und einer noch immer quicklebendigen Szene des
Individualismus, der Innovation, des „nach seiner Facon glücklich
werdens“ andererseits hin und her pendelt. Das gilt auch für
Paris. Die Stadt erfindet sich täglich neu, auch getrieben von den
Regierenden. Das drückt sich unter anderem in architektonischer
Avantgarde aus, man schaue sich nur die neuen Hallen im Zentrum oder
die neue Fondation Vuitton im Bois de Boulogne an. Paris erlaubt
Innovation, fordert sie sogar, es hält aber gleichzeitig
konservativ-beruhigend an seinen Traditionen fest. Die
architektonische Innovation wird Haussmanns Paris nicht verdrängen,
die Hochküche wird weiter ihren Platz haben, im Olympia werden
weiter die Chansonniers auftreten und Notre Dame wird weiter Wache
über die Ile de la Cité halten. Manch einer übersieht die
Neuerungen und erklärt Paris zum Museum, zur Stadt von gestern.
Manch einer traut den spätgallorömisch dekadenten Franzosen nicht
mehr zu, den Freiheitsgeist wieder zu finden, der sie einst
ausgezeichnet hat.
Aber keine Sorge, wenn der Terror
zuschlägt, besinnt man sich in Frankreich auf die historischen
Traditionen. Viel hat das Land in dieser Hinsicht auch in der
Vergangenheit erdulden müssen. Schon in den Achtzigern gab es eine
Anschlagserie, Bomben in Kaufhäusern, in der U-Bahn, auf
öffentlichen Plätzen. Auch damals führte die Spur in die Welt
islamischer Fanatiker. Und auch damals hat man sich nicht ins
Bockshorn jagen lassen. Charlie Hebdo hat man überstanden, den
direktesten terroristischen Anschlag auf die Meinungsfreiheit, den es
in der Geschichte der Menschheit gegeben hat – und den Anschlag
sogar genutzt, um über gelebte Solidarität ein Zeichen für die
Freiheit zu setzen. Nach Charlie Hebdo war ich dreimal in Paris und
bereits wenige Wochen nach dem Anschlag hatte die Stadt zu sich
zurück gefunden, als wäre nichts geschehen! Auch diese neuen
Anschläge wird man überstehen, Paris wird Paris bleiben und
Frankreich wird Frankreich bleiben. Gerade Paris wird die Stadt
bleiben, die jedem das geben kann, was er sich von ihr wünscht. Eine
Projektionsfläche für Romantiker, ein Ort, an dem man die Welt neu
erfinden, sich verwirklichen und ausprobieren kann, zugleich ein
Lordsiegelbewahrer von Traditionen und ein Motor von Innovationen,
neben London und Berlin eine der drei Weltstädte des europäischen
Kontinents. Für mich die schönste Stadt Europas, weil sie ihre
Schönheit nicht nur in ein paar architektonischen Highlights
scheinen lässt, sondern flächig über die Stadt ausgießt,
verschwenderisch und reich. Aus welcher Metro-Station auch immer man
aussteigt, ein Blick auf das Umfeld genügt, man weiß sich sofort in
Paris. Moderne und Tradition verbinden sich nirgendwo so elegant, man
denke nur an La Defense, wo man das Motiv der Triumphbogens zitiert
und gleichzeitig doch etwas völlig Neues schafft. Oder an die
Louvre-Pyramide, ein architektonisches Zitat aus der ägyptischen
Abteilung des Museums und gleichzeitig innovativ. Ja, Paris kann
elegant, kann stimmig, kann harmonisch wie keine zweite Stadt. Paris
hat Geschmack, hat Lebensart, hat Kultur. Dieses Paris ist vielleicht
nicht unsterblich, es ist aber ganz sicher nicht von ein paar Irren
tot zu kriegen.
Es muss weiter gehen, es wird
weitergehen. Ich habe am Tag des Anschlags gleich die nächste
Frankreichreise gebucht, es wäre doch gelacht! Und der heutige
Beitrag in meiner kleinen Gastro-Tournee behandelt natürlich ein
Restaurant in Paris, was sonst?!
Im Arpege war ich mal wieder, bei Alain
Passard, der gefühlt auch schon bei der französischen Revolution
dabei war, so lange kocht er schon mit an der Spitze der
französischen Sterneküche. Zwischendrin hatte er mal eine Phase, da
gab es bei ihm nur vegetarische Gerichte, Küchenrevolution in der
Sternegastronomie. Der Michelin hat es toleriert, die drei Sterne
blieben erhalten und sicherlich hat er in der Zeit jede Menge
Erfahrungen gesammelt, wie man aus profanen Dingen wie Kartoffeln
oder Tomaten kulinarische Hochgenüsse herauskitzelt. Die Karte von
heute profitiert davon. Denn auch wenn Fleisch und Fisch längst
wieder Einzug gehalten haben, widersteht Passard der Versuchung
nicht, mit vielen kleinen Gemüsehappen zu zeigen, was auch tierfrei
so alles geht.
So fährt als erstes Amuse ein Beignet
von Pak Choi auf, mit Steinpilz, Knoblauch und Petersilie abgerundet,
großartig! Danach folgen drei Tarteletts mit „Tartar“, ein
rotes, bei dem der Tartar aus Geranien, Radieschen und Rotkohl
besteht, ein gelbes, bei dem der Tartar aus Karotten und Mais
zusammengebastelt wurde, und ein grünes, wo Gurke, Salbei und Minze
in den Tartar gewandert sind. Alles vegetarisch und alles sehr fein.
Tiefgründige Aromen, perfekt miteinander verbunden, nicht alle
Komponenten konnte man wirklich herausschmecken, doch wenn man es
genau wissen will, hat man einen ausgesprochen kompetenten Maitre im
Saal, der jede Frage gerne beantwortet.
Saal ist an sich schon zu viel gesagt,
das Lokal ist eher ein Raum, verwinkelt, klein, die Tische stehen
auch ein wenig eng und manchmal müssen die Kellner in
ballettähnlichen Figuren zwischen den Tischen hindurchwuseln und die
ohnehin nicht vorhandenen Bäuche einziehen, wenn auf der Strecke zur
Küche Gegenverkehr entsteht. Hier könnte Jogi Löw wirklich mal
etwas über innovative Laufwege und das Zumachen von Räumen lernen.
Steif kann der Service hier nicht werden, zum Glück ist er es auch
im übertragenen Sinne nicht, selten wird man in der Hochküche so
herzlich und zugleich professionell betreut wie im Arpege! Etwas mehr
Raum um den Gast herum wäre trotzdem ganz nett, aber was soll er
tun, der Herr Passard, dann müsste er umziehen, denn mit noch
weniger Tischen rechnete sich das Arpege sicher nicht. Wobei, der
Herr Savoy hat es gerade vorgemacht, umziehen ist gar nicht so
schwer. Schade wäre es um das sehr klassische Dekor, hellbraunes
Holz an der Decke und an den Wänden, nicht komplett vertäfelt,
dazwischen sorgt viel weiße Fläche für eine etwas lichtere Optik.
Sehr elegant das Ganze. An sich ist es trotz der Enge gemütlich,
also lege ich das Thema Volk ohne Raum mal ad actas.
Und vertiefe mich erst einmal in die
Weinkarte. Mittelgroße Auswahl und sehr faire Koeffizienten. So
günstig kommt man in der Dreisterneabteilung in Paris sonst nur noch
bei Pierre Gagnaire an exzellente Weine, da lacht das Igelherz. Kein
Wunder, die Menüs sind mit 270 und 350 Euro am Abend auch schon
recht mutig bepreist, da muss man über den Wein nicht mehr viel
hereinwirtschaften, um den Laden profitabel zu halten. Alain Passard
schaut auch kurz am Tisch vorbei und verkündet „Ich habe heute
tolle Gemüse und ich werde für Sie kochen“ Ja, zumindest
letzteres hatte ich eigentlich erwartet. Insgesamt ist mir der Chef
eher zuviel im Saal, das geht oft schief. Hier aber nicht, denn nun
kommt ein Meisterwerk! Einer der Klassiker des Hauses, das Ei mit
vier Gewürzen. Neben den Gewürzen haben auch noch schaumige Sahne
und etwas Schnittlauch den Weg ins Ei gefunden. Das einfach nur
perfekt ist. Perfekt gewürzt, voll auf dem Punkt, etwas süßlich
und zugleich nussig-pfeffrig. Perfekt in der Textur, das cremige des
Eigelbs verträgt sich bestens mit dem Schaumigen der Sahne. Denn
Schnittlauch nimmt man fast nicht wahr, so intensiv ist das alles.
Wirklich nur vier Gewürze? Unglaublich! Welche? Man erfährt es
nicht. Hier verweist auch der Maitre auf seine Schweigepflicht.
Allein dieses Ei lohnt die Reise an die Seine, beim Barte des
Propheten! Grandios!
Auf dem Niveau kann es nicht
weitergehen, völlig klar. Der als nächstes servierte Hummer in
süßsaurer Sauce mit Honig und dünnen Scheiben von weißen Rüben,
funktioniert nicht wirklich perfekt. Auf dem Teller kämpft die süße
Sauce, die vor allem aus dem Honig besteht, mit einer sauren Sauce,
in der der Essig die Hauptrolle spielt, weißer Balsamico zwar, aber
dennoch sehr säuerlich. So richtig harmonieren die beiden Saucen
nicht, so dass das Ganze etwas zu laut und zu vordergründig wirkt.
Nicht schlecht, aber halt nicht ganz auf Dreisterneniveau. Auch mein
Foto streikt zwischendrin, so dass es kein Bild dazu gibt.
Besser gefällt mir der folgende Gang,
Tagliatelle aus Sellerie, abgeschmeckt mit Haselnüssen und
Semmelpilzen (pieds de mouton). Sellerie und Nuss, ja das
funktioniert seit der Erfindung des Waldorfsalats recht zuverlässig
und es passt auch hier sehr gut. Zudem habe ich Spaß dran, dass die
Selleriestreifen wirklich wie Tagliatelle aussehen, gelungener Gag!
Und die zitronierte Sahnesauce arrondiert den Dialog zwischen dem
Gemüse und der Nuss sehr fein, passt zu beidem, schafft eine
zusätzliche Verbindung. Nur die Pilze werden ein wenig unsanft in
den Hintergrund geschoben, weil die Dosierung für normale
Tagliatelle perfekt gewesen wäre, zum Anstinken gegen die sehr
intensiven Selleriestreifen aber nicht ganz ausreicht. Dennoch eine
überzeugende Kreation! Zum Glück meldete sich mein Foto zurück,
bevor sie ganz aufgegessen war.
Als nächstes kamen Gemüseravioli auf
den Tisch, in einer Consommé von Rotkohl und Karotten. Wieder so ein
Stück aus der Gemüseküche und wieder eine überzeugende Sache. Man
darf sich nur nicht von der Consommé täuschen lassen, die so für
sich ein wenig fad wirkt. Der Igel ist ja kein Teetrinker, insofern
braucht es für ihn auch keine teeigen Suppen oder Saucen. Kaum ist
aber der erste Raviolo erlegt und die perfekte gewürzte, waldpilzige
Füllung am Gaumen, schon passieren zwei Dinge. Erstens ein Kniefall
vor der Füllung und zweitens die Erkenntnis, dass die Füllung auch
der Consommé zu höherer geschmacklicher Reife verhilft. Gemeinsam
sind sie stark, mein lieber Freund!
Nicht immer geht das Gemüsekonzept
vollständig auf. Denn nun kommt ein mit Steinpilzen und Sauerampfer
gefüllter Radi, um den eine Sauce von Kalamata-Oliven drapiert
worden ist. Da stimmt es nicht ganz zusammen. Denn die Oliven, obwohl
nur als Tartar am Rand versprenkelt, erschlagen den Rest. Und auch
wenn man den Olivenhack weglässt, gehen die Steinpilze fast ganz
unter. Sauerampfer und Radi dominieren, vor allem der Ampfer. Es ist
nicht übel, aber halt nicht auf Dreisterneniveau. Wirkt nicht
ausgereift und nicht ganz rund. Mit der richtigen Technik kann man
einiges retten. Ich schiebe die Olivenbrösel auf die Seite, nehme
zum Steinpilz nur das sehr gute Olivenöl, das hauchdünn den Radi
überzieht, nur die eine der beiden Radischeiben und sortiere auch
noch einen Teil der Ampferfüllung an den Rand und dann habe ich
plötzlich eine ziemlich geniale Komposition von Radi, Steinpilz und
Ampfer auf der Gabel, leicht olivig, gerade richtig in der
Gewichtung, so passt es. Die Dame am Nebentisch, die das beobachtet
hatte, ordert für sich dann diesen Gang ohne Olivenkrümel, manchmal
hat es etwas für sich, wenn die Tische so eng stehen.
Weiter geht es mit Lauch, Lakritzholz,
Selleriesauce und Totentrompeten. Wieder nicht ganz überzeugend. Die
Würze der Lauchzwiebeln nimmt es ganz gut mit der (zu) kräftigen
Süße der Lakritze auf, beides zusammen für sich wirkt recht
stimmig, auch wenn man dafür wohl nicht eigens nach Paris reisen
müsste. Gemeinsam treten Lauch und Lakritz aber den Pilzen ziemlich
zwischen die Beine, die in diesem Aromenkonzert kaum noch
stattfinden, bestenfalls noch die Bedeutung wie der Triangelspielers
bei den Sinfonikern haben. Im Nachgeschmack bleibt dann vor allem die
Lakritze als erste und zweite Geige. Hätte man diese um die Hälfte
reduziert, wäre die Sache sicherlich harmonischer ausgegangen.
Dafür kommt als nächstes wieder ein
besonders gelungener Teller aus der Küche. Gefüllter Kohl mit
Mangold, Gartenkräutern, Parmesanemulsion und Steinpilzen. So muss
Gemüseküche, dann wird selbst der Igel vorübergehend zum
Vegetarier. Kohl, Parmesan, Gartenkräuter und die fast rohen
Steinpilzscheiben spielen wunderbar miteinander. Keiner übertrumpft
den anderen, die Aromen ergänzen sich, heben sich gegenseitig
hervor, perfekte Dosierung und dann ist da eine Süße in der Sauce,
von der ich absolut nicht weiß, aus welchem der vier Elemente sie
stammen soll. Sahnig aufgeschlagen ist sie ohnehin, cremig und sehr
gehaltvoll, sie fungiert als Tragsäule in diesem Aromengebäude.
Exzellent!
Das kann man noch steigern. Nun kommt
der Turbot in Côtes du Jura-Sauce. Angerichtet mit geräucherter
Kartoffel, einem Hauch Zwiebel und – schon wieder –
Steinpilzlamellen. Allerdings sind Steinpilze etwas, das sich in
meinem Speiseplan sehr gerne wiederholen darf, deswegen habe ich
nicht einmal Empörung vorgetäuscht, dass zwei Teller hintereinander
mit einem meiner drei Lieblingspilze geschmückt waren. Zumal ich
schon wieder ein absolutes Meisterwerk vor mir hatte. Eine grandiose
Sauce, mit der Nussigkeit des Jura-Savagnin, absolute Weltklasse, die
untermalte den Turbot geradezu perfekt und gab den Pilzaromen freche
Antworten, nur um ihrerseits von den Cepes würzige Repliken zu
bekommen. Hier zeigen die Steinpilze nun auch endlich, was sie
können, keine Oliven, keine Radis stehen im Weg. Und selbst die
Räucherkartoffel, die zum Glück nur ganz sanft angeräuchert und
ansonsten vor allem gekocht war, passt so gut dazu, dass sie dem
Nichtraucherigel in der Kombination mit der göttlichen Sauce bestens
mundete. Wobei ich die göttliche Sauce zu fragen vergessen habe, ob
sie vom christlichen, vom mosaischen oder vom muslimischen Gott
stammte.
Damit nicht genug, es geht noch besser.
Wenn man zum Beispiel den Tartar von Rote Beete ordert. Optisch ein
Gag, das schaut exakt aus wie der klassische Rindertartar. Inklusiver
grüner Einsprengsel – Cornichons und Kapern – auch wie beim
Klassiker der Bistrogastronomie. Allerdings sind diese beiden sauren
Elemente nicht so großzügig eingearbeitet wie beim Rindertartar.
Weil die Rote Beete nicht so kräftig und nicht so würzig ist wie
Rindfleisch. Nur so lässt sich die Balance der Aromen wahren. Um der
Süße des Gemüses etwas entgegen zu stellen, sind am Rand ein paar
scharfe Salatblätter drapiert, geschmacklich irgendwo im Bereich
Rauke mit Chili anzusiedeln. Ein fast versteckter Klecks würziger
Sahnesauce tut ein Übriges. Insgesamt ist die Balance so perfekt,
die Harmonie so faszinierend, dass jeder Verdacht, wir könnten es
vor allem mit einem optischen Gag zu tun haben, im Keim erstickt
wird. Dies ist ganz großes Gemüsekino. In Breitwand und mit
aromatischem Dolby Surround. Besser geht so etwas nicht. Vor dem
Teller knien reicht nicht, hier sind mehrere Kniefälle geboten, das
artet fast schon in Sport aus. Eine großartige Erfahrung und wieder
eine Geschichte, für die allein nach Paris zu reisen lohnte.
Nun kommt ein Gemüsemerguez,
aufgeschnitten und mit Gemüse in Sahnesauce und Semoule serviert.
„Die Merguez ist fast hunderprozent vegetarisch“, berichtet der
Maitre stolz, „nur für den Darm außenrum haben wir noch keine
richtig überzeugende Lösung gefunden, der ist noch vom Tier.“ Ja,
das ist mir jetzt eigentlich ziemlich egal, entscheidend ist der
Geschmack. Und da bleibe ich zwischendrin mal wieder eher auf dem
Hocker. Eine Fleischmerguez wäre mir wohl lieber gewesen, dem
Gemüseteil fehlt irgendwie das Rückgrat, die Würze. Auch die
Semoule passt dramaturgisch zwar zum Leitmotiv, überzeugt aber nicht
komplett, weil sie doch ein wenig trockend wirkt. Zum Glück hat die
Küche das Ganze mit einer exzellenten Sahnesauce gesegnet, die hilft
beim Befeuchten und bringt mit ihren kräutrigen Aromen auch etwas
Leben in den Teller. Und die Kritik einzuordnen: Ich jammere hier auf
ziemlich hohem Niveau, mit Freude habe ich die Gemüsemerguez
natürlich trotzdem verdrückt. Hier stand insgesamt aber mehr der
Gag der vegetarischen Wurst im Vordergrund als ein kulinarisch
perfektes Erlebnis. Nett, mehr nicht.
Nun kommt etwas sehr Eigenwilliges auf
den Tisch. Eine Komposition aus Huhn und Ente. Schon bei der
Zubereitungstechnik hat sich Passard etwas Besonderes ausgedacht,
eine halbe Ente und ein halbes Huhn werden zusammengenäht und
gemeinsam im Ofen gegart. Offenbar funktioniert das sehr gut und
tritt auch aus der Naht nicht zuviel Saft aus, denn sowohl das Huhn
als auch die Ente bestechen durch wunderbare Saftigkeit. Voll auf dem
Punkt und die dazu gereichte Geflügellebersauce verbindet beides
recht elegant, vielleicht ein Spürchen zu erdig, insgesamt aber sehr
überzeugend. Dazu wird eine würzige Süßkartoffel gereicht, die
unnötigerweise leicht angeräuchert ist, aber sehr schön mit der
Lebersauce spielt. Hier sind wir wieder mitten in der
Dreisterneabteilung, Chapeau!
Als Vordessert wird nun eine Creme
non-Brulée mit Karamell gereicht. Ein eher simples Ding aber
geschmacklich höchst intensiv. So müsste die klassische Creme
Caramel im Bistro bitte immer schmecken, damit wäre der Menschheit
ein großer Dienst erwiesen!
Raffinierte Hochküche dann wieder beim
Sabayon von Quitten und Himberen. Ein echter Sabayon ist es nicht,
fast schon ein Soufflé, so leicht und locker aufgeschlagen kommt das
Zeug daher und oben findet sich auch eine souffléeske Haut, wie sie
nur beim Überbacken zustande gekommen sein kann. Geschmacklich haut
es den ollen Igel aus den Pantinen. Weil die Früchte in ihrem
Widerstreit zwischen quittigen Zitrusnoten und rotfruchtiger
Säuerlichkeit nicht allein unterwegs sind, sondern als Anhalter
irgendwo unterwegs in der Küche noch einen Hauch Sternanis mit
aufgegabelt haben. Der den Schiedsrichter gibt und dem spannenden
Spiel zwischen den beiden säuerlichen Früchten Finesse und eine
leichte orientalische Exotik schenkt. Hier hätte ich mir eine
Verlängerung gewünscht, wenn nicht ein Wiederholungsspiel.
Sagenhaft!
Damit nicht genug, ein weiteres Dessert
lässt Passard aufmarschieren, eine Profiterole mit Milchkaramell.
Die schaut jetzt erst einmal aus wie ein viel zu sahniges Stückchen
aus einer der vielen Pariser Patisserien. Aber die vermeintliche
Sahne ist geeiste Vanillecreme, keineswegs fett und sie arbeitet sich
wunderbar am zuckrigen Deckel der Profiterole ab. Die karamellige
Sauce setzt einen weiteren Akzent, das passt gut zueinander, ist
handwerklich sicher keine ganz große Herausforderung aber perfekt
umgesetzt.
Als Schlussakkord folgt noch ein
Millefeuille von Rhabarber und Erdbeeren. Ein gewagtes Spiel, am Ende
eines gefühlt hundertgängigen Menüs noch ein Millefeuille
hinzustellen. Blätterteig ist schließlich fast zwangsläufig
mächtig und erschlagend. Aber die knackige Säure des Rhabarbers
hilft (neben der unendlichen Gourmandise des Igels natürlich), nimmt
viel von der Opulenz und lässt die Sache fast schlank wirken (anders
als den Igel). Tolles Spiel mit der Erdbeere, das weiß man, das ist
bekannt, mit der kann der Rhabarber immer schon gut, auch ohne
Trauschein läuft das was zwischen den beiden, das sieht ein Blinder
mit Krückstock. Ein superbes Finale, wow! Ich war so überwältigt,
dass ich erst zum Foto gegriffen habe, als das Ding schon fast
verputzt war.
Schon zu Beginn dieser vieraktigen
Dessertfolge hatte Passard persönlich ein Auswahl von Mignardises
vorbei gebracht, die für den alleine speisenden Igel eigentlich
nicht zu bewältigen war.
Eigentlich… Natürlich habe ich das
Zeug komplett abgeräumt. Ihr kennt mich. Bei Mignardises werden
keine Gefangenen gemacht, zumal wenn sie gelungen sind. Und das waren
sie. Das Baiserstückchen zum Beispiel, außen süß und innen
würzig, großes Kino. Oder die Mandelhippen mit perfekt dosiertem
Rosmarin – da war nichts seifig, parfümiert, das Kraut
akzentuierte das Mandelgebäck nur sanft, so muss es sein, wunderbar!
So auch das Schweineohr mit Thymian, fantastisch! Das Macaron war mit
Sternanis aromatisiert, auch das passte sehr gut, wunderbar mandelig,
lang und schöner würziger Abgang! Eine Popcornpraline war auch im
Sortiment, sehr popcornig mit saftigem Maiskuchenteig, gefällt mir.
Dazu Honigkaramell, Traubengeleefruchtstückchen, eine Sahnepraline
mit japanischer Gurke, alles exzellent.
Insgesamt ein eindrucksvoller Abend. An
dem Passard schon fast verschwenderisch die gewaltige Vielfalt seiner
Küche zeigte. Und sich den Igel am Ende sehr genau anschaute, um
irgendwie herauszukriegen, wo der das alles hingefressen hatte.
Sicher, es war nicht alles auf Dreisterneniveau, es war auch ein
wenig Achterbahnfahrt dabei. Es war aber nichts wirklich schlecht und
selbst wenn man die nicht so gelungenen Kompositionen abzieht kamen
noch immer mehr dreisternewürdige Dinge auf den Tisch als manches
Menüs in anderen Dreisternelokalen Gänge hat. Es oszillierte ein
wenig zwischen sehr gut und Weltklasse, zwischen „gerade so zwei
Sterne“ und „herrjeh, dafür reichen drei Sterne nicht“.
Insgesamt wohl verdiente drei Sterne. Nicht gerade günstig, aber,
liebe Leute, dafür bekommt Ihr auch über vier Stunden hinweg ein
Feuerwerk von Ideen, Aromen und Kreativität präsentiert, wie man es
selten erlebt.
Erübrigt sich zu sagen, dass dieses
Geschmacksfeuerwerk, die Explosion der Aromen an den Papillen für
Paris steht und weiter für Paris stehen wird – nicht die Explosion
von Sprengstoffgürteln. Obwohl auch der Herr Passard eine
gewalttätige Ader hat. Nebenher arbeitet er nämlich als Bildhauer.
Und hat nichts Besseres zu tun, als eine Skulptur von einem
überfahrenen Igel herzustellen. Zu besichtigen in seiner Galerie
neben dem Lokal. Mit Herzmassage konnte ich den Igel-Kollegen gerade
noch retten.
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