Willis Vierschänkentournee Teil 3 "Osteria Francescana"

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Heute: Vierschänkentournee Teil 3






Schon wieder zeigt meine Waage steigendes Gewicht an. Ich muss offenbar beim Gabelsport die Taktfrequenz noch ein wenig erhöhen. Ich versuche es mal beim Italiener, die bringen dort in der Edelküche ja oft viele kleinere Gänge auf den Tisch, da kann ich Messer und Gabel richtig heiß laufen lassen.


Tja, der Italiener, der hat mich mit seiner Sterneküche häufig eher enttäuscht. Weil die nahezu unumgängliche Pasta zwar recht einfach in guter Qualität auf den Tisch zu bringen ist, so dass die Durchschnittsküche in Italien oft auf deutlich höherem Niveau arbeitet als die sich an Hochküche verkünstelnden Durchschnittskönner in Frankreich oder Deutschland. Dafür hat Pasta nach oben aber offenbar gewisse Grenzen, selten habe ich es erlebt, dass sie überzeugend dreisternig verfeinert worden ist. Vielleicht wenn man mal den Calandre bei Padua ausnimmt, das derzeit wahrscheinlich beste Restaurant Italiens. Aber den kannte ich schon, deswegen habe ich jetzt mal einen Hausbesuch in der Osteria Francescana in Modena gemacht.

Seltsam, seltsam, die Tür ist verschlossen. Man muss erst klingeln, ehe man eingelassen wird. Haben die so viel Straßenkriminalität in Modena, oder was ist da los? Na, seis drum, ist man einmal drin, fühlt man sich wohl. Moderne Kunst an den Wänden des Eingangsbereichs, durchaus in knalligen Farben. Deutlich dezenter aber ebenso modern im einzigen Gastraum, in dem gerade einmal fünf, sechs Tische Platz haben. Nobel eingerichtet, wenn auch ein wenig minimalistisch.


Entscheidend ist sowieso auf dem Teller. Da gab es an diesem Mittag ein sechsgängiges Menü für 110 Euro, für die Dreisterneklasse ist das inzwischen absolut günstig. Statt eines Amuse wurden Brot und exzellentes Olivenöl aufgefahren. Das erscheint ungewöhnlich und vielleicht auch ein wenig lieblos, angesichts der exzellenten Qualität des Öls fand ich es aber durchaus angenehm. Es sollten ja noch sechs Gänge folgen.



Den Auftakt machte die „Erinnerung an ein Mortadella-Sandwich“. Das entpuppte sich als ein Klecks Mortadella-Mousse neben einem hochköstlichen lauwarmen Brot. Daneben ein paar Pistazienkrümelchen. Der Klecks schmeckte tatsächlich sehr nach Mortadella, und zwar nach der eher ruppigen Variante aus der Discounter-Wursttheke. Also schon authentisch, aber halt nicht gut. Eher eine Enttäuschung.




Insgesamt machte sich recht schnell der Eindruck breit, der Chefkoch setze vor allem auf Einfachheit und Authentizität. Am Nebentisch wurde aus einem anderen Menü als „dekonstruierter Parmesan“ eine Art Chlorophyllmousse mit Milch serviert, denn, so der Koch erklärend „wir sind hier ja bei Parma und aus Gras und Milch entsteht ja schrittweise der Parmesan, Sie bekommen hier also praktisch die Historie des Parmesan erzählt.“ Nix dagegen, so ein Gang sollte aber nicht nur lehrreich sein, sondern möglichst auch schmecken. Was die etwas gequälten Gesichter der Nebentischbevölkerer jetzt eher nicht so spiegelten.


Minimalistisch auch der folgende Gang: dreißig Monate gereifter Parmaschinken und achtundvierzig Monate gereiftes Culatello. Von jedem lagen zwei hauchdünne Scheiben auf dem Teller, mehr nicht. Ist das eigentlich ein Koch oder ein Anrichter, fragte ich mich schon, musste mir dann allerdings gestehen, dass ich Schinken wie Culatello noch nie so gut gegessen habe. Ein Hochgenuss. Dennoch gewagt, einfach nur ein Spitzenprodukt eines Metzgers auf den Teller zu legen und sich als Koch auszugeben.


Aber es kam ja noch mehr. Als nächstes die selbstgemachten Tagliarine mit confitiertem Kalbfleisch. Sehr gut, perfekte Konsistenz, geschmacklich voll ausgewogen. Ein wenig fehlt der letzte Kick, hier komme ich auf meine Theorie zur Dreisternetauglichkeit der Pasta zurück und sehe diese ein wenig bestätigt.




Nur um sie gleich wieder zu verwerfen, denn nun wurden Tagliatelle mit einer Sauce aus dreißigmonatigem Parmesan gereicht. Die Intensität des Käses hätte mich bei einer Blindverkostung glatt auf einen Blauschimmler tippen lassen, obwohl das dafür eigentlich schon wieder zu fein war. Auf den Punkt gewürzt, nur zwei, drei Zutaten in der Sauce, an sich eine totensimple Sache, hier aber zu großer Perfektion gebracht.


Das gilt auch für das nachfolgende Hauptgericht, kurze Rippen vom Schwarzschwein, im Vakuum gegart, mit getrüffeltem Selleriepüree und einem mit einem Hauch Olivenöl verfeinerten sahnigen Kartoffelpüree serviert. Schlecht für meine sportlichen Ambitionen: Das ausgelöste Fleisch war so zart, dass ich es ohne jeden Messereinsatz teilen konnte. Die Pürees waren wirklich großartig gewürzt, Klasse!


Höchstes Niveau auch beim Dessert, das wieder sehr erfolgreich diese Gratwanderung zwischen simpler Darbietung und großem Geschmackserlebnis ging, „Zuppa Inglese kalt und warm“. Eine Dekonstruktion dieses Kuchens, der vor allem aus Bisquit, hochprozentigem Alkohol und Vanillecreme besteht. Hier fanden sich zweierlei Bisquits neben einem herrlich vanilligen Eis und einem, eigentlich nicht zur Zuppa gehörenden warmen Schokoküchlein. Die Dinger kommen offenbar in Mode, da kann ich nächstens mit meinen groß auftrumpfen. Über das Ganze wurde eine mit rötlichem Likör eingefärbte Gelatineschicht gespannt, um die einzelnen Komponenten wieder zur Zuppa zu verbinden. Das hätte man sich sparen können, zumal der Likör nicht wirklich zu schmecken war. Dennoch ein großartiges Dessert.


Tja, irgendwie hinterließ mich das alles etwas ratlos. So richtig gekocht wurde in diesem Restaurant nur zum Teil. Das Meiste wäre dennoch in höchste Genusskategorien einzuordnen, anderes erschien dann wieder völlig daneben. Kann Dreisterneküche so einfach sein? Darf sie so einfach sein? Der optisch ein wenig an den fünfzigjährigen Woody Allen erinnernde Chef des Hauses kocht irgendwie gar nicht wirklich. Er hält sich, das fällt auf, kaum einmal in der Küche auf. Er wandelt lieber im Saal zwischen den Tischen hin und her und erklärt mit der Gestik und dem Wortreichtum Woody Allens, was er sich bei den einzelnen Gerichten so gedacht hat. Durchaus plausibel, wenn auch nicht immer überzeugend. Manchmal etwas belehrend. Zum vergleichsweise günstigen Mittagstarif sicherlich ein Erlebnis, das man sich einmal gönnen solle. Mindestens zwei Sterne würde ich dem Lokal auf jeden Fall auch geben, Aber das Leuchten in den Augen des Gastes bleibt dennoch ein wenig matt.





Das habe ich dafür dann wieder im letzten Teil meiner Vierschänkentournee, zu lesen genau hier, gleich nach der Werbung!

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