Weh-Geh-Weh Willis Gastro Werkstatt Heute: Vierschänkentournee Teil 43: Schwarzwaldstube, Traube Tonbach


In der letzten Folge habe ich mich ja schon geoutet. Der Igel ist ein Konservativer. Jedenfalls was die Kochkunst angeht. Beim Musikgeschmack allerdings auch. Wenn ich heute das Musikfernsehen einschalte, das nicht mehr MTV heißt, sondern Deluxe Music, dann nähere ich mich relativ schnell dem Aggregatzustand der Verzweiflung. Früher war Musik ja etwas, was vor allem über die Melodie kam. Die sich im begleitenden Gesang halbwegs wiederfand, je nach Talent des Vortragenden. Heute sind mindestens dreißig Prozent der Videos Rap-Titel, gefühlt sogar zwei von dreien. Melodie Fehlanzeige. Gesungen wird auch nicht. Sondern gebrüllt. Dazu gibt’s Breakdance. Brechtanz! Heißt so, weil das zum Kotzen ist.

Rap, so weiß es Willipedia, ist übrigens ein Sprechgesang, der seinen Ursprung in den amerikanischen Schwarzenghettos hat. Mit engen Bezügen zur Straßenkriminalität. Aha. Also, liebe Leute, wenn Eure Sehnsucht nach dem Ghettoleben so groß ist, dann solltet Ihr das hier nicht ins Musikfernsehen rülpsen, sondern einfach in so ein Ghetto ziehen und Euch mit der Straßenkriminalität aktiv auseinandersetzen. Wäre mein Vorschlag. Wird nicht leicht, denn die Unterdrückung und Zusammenpferchung der Schwarzen in Ghettos ist jedenfalls in den USA längst nicht mehr das, was sie einmal war. Vielleicht kriegt Herr Trump das wieder besser hin, er arbeitet ja dran, ist aber noch nicht am Ziel. Ich bin mir aber sicher, dass sich in den Favelas von Brasilien, Venezuela, Argentinien und anderen Staaten im südlichen Amerika angemessener Ersatz finden lässt. Bin gespannt, wie offen die Arme dort für die Stöhner Mannheims und andere Verirrte ausgebreitet sein werden.

Anmoderiert wird dieser Schrott bei Deluxe übrigens entweder von einem, der ganz passend Kafka heißt, das aber „Kavka“ schreibt. Oder von einer, die sich immer mit den Worten vorstellt: „Ich bin Jenny, verwaist!“. Ich frage mich dann, warum der Familienstand im Musikfernsehen mitgeteilt werden muss und ob die Andeutung einer harten Kindheit vielleicht aus einer Art innerer Verschwisterung mit den vermeintlichen Ghettoinsassen resultiert. Die beste Igelin klärt mich auf – „nein, nein, die Frau heißt so, Jennifer Weist, das ist die Sängerin von Jennifer Rostock“. Da fällts mir wieder ein, das ist die, die durch Lupfen des T-Shirts und Herzeigen ihrer vollständig tätowierten Brüste gegen Sexismus protestiert hat. Ja, wenn man zu lange mit Herrn Kafka zusammen im selben Sender eingesperrt war, kommt man auf solche Ideen. Vielleicht ist sie deswegen auch von Hals bis Fuß beschriftet und bemalt? Genau wie der Rap kommt die Geschichte mit den Tattoos jedenfalls eher aus der Unterschicht. Kannte man früher aus der Matrosenszene – da gab es Anker auf die Haut, Meerjungfrauen und


natürlich den Namen der Angebeteten. Wobei das bei Matrosen, die schon etwas länger unterwegs waren, manchmal aussah wie ein Einkaufszettel kurz vor der Kasse. Anja, durchgestrichen. Rita, durchgestrichen. Susi, durchgestrichen. Lola, (noch) nicht durchgestrichen. Ansonsten kennt man das Einfärben von Haut mit Tinte noch aus der Sträflingsszene. Und natürlich aus der Schäferhundeszene. Die Köter kriegten früher so eine Art Autonummer in den Innenschenkel oder ins Ohr gestochen. Heute werden sie wohl eher mit Mikrochips versehen. Ach ja, dann war da ja auch noch die SS-Szene – da wurde die Blutgruppe in den Unterarm tätowiert.

Nun wollen wir der elternlosen Jenny und ihren Gesinnungsgenossen mal nicht gleich unterstellen, dass sie sich durch die Bemalung mit der SS gemein machen wollen. Auch wäre es wohl vermessen, sie gleich ins Tierreich einzuordnen – und in Zeiten von metoo vermeide ich natürlich jeden Gedanken, die Frau wolle sich gar als „bitch“ outen. Bleibt das Nachäffen von Sträflingen und Matrosen. Das inzwischen zu so einer Art Volkssport geworden zu sein scheint. „Nein“, belehrt mich die beste Igelin von allen erneut, „die Bemalten sagen, sie hätten die Tattoos, weil diese „eine Bedeutung“ hätten“. Hmm, welche Bedeutung hat es denn, wenn sich eine einstechen lässt „Kevin-Ocean 21. 11. 2017“. Dass man sich den frisch aus dem Chantalisator (http://www.chantalisator.de/) gezogenen Namen seines Ablegers und dessen Geburtsdatum ohne Spickzettel auf dem eigenen Oberarm nicht merken kann? Oder ist die Unfähigkeit zu verbalen und tätigen Liebesbekundungen gegenüber den Bälgern so groß, dass man sich mit dem Surrogat auf dem eigenen Balg behelfen muss? „Na ja“, meint die beste Igelin von allen, „die Tätowierten sind der Meinung, dass sie ihre Individualität unter Beweis stellen, wenn Sie sich verzieren lassen.“ Ja, klar – wenn jede dritte Frau ein Arschgeweih trägt und die obligatorischen Engelsflügelchen auf dem Rücken, Schriftzüge Kevin-Ocean auf dem rechten und Brianna-Yoona auf dem linken Oberarm, dann generiert dieser „Schmuck“ noch ungefähr so viel Alleinstellungsmerkmal und Individualität wie die Lektüre der BILD-Zeitung in einem McDonalds-„Restaurant“. Aber vielleicht heißt es gar nicht MÄC Donalds, sondern M C Donalds – so wie bei M C Hammer – dann stehen die zwei Buchstaben gar nicht für schottische Herkunft, sondern für „Master of Ceremonies“, wie sich viele Rapper ja auch nennen. Da schließt sich der Kreis dann wieder. Die Pampe bei McDonalds ist wahrscheinlich einfach nur gerapptes Essen

Und genau das ist nix für den Igel. Der Igel bewegte sich bei seiner jüngsten Fresskapade wieder mal auf erzkonservatives Gelände. In den Schwarzwald. Freudenstadt und Baiersbronn, da könnte die CDU einen toten Hund aufstellen und der käme bei der Bürgermeisterwahl noch mit 30 Prozentpunkten Vorsprung vor der SPD ins Ziel. Selbst ohne Tätowierung im Ohr. Gekocht wird auch wie es sich gehört. Seit Jahrzehnten. In der Schwarzwaldstube der Traube Tonbach zum Beispiel. Nach gefühlt 50 Jahren Harald Wohlfahrt hat nun ein Eigengewächs des Hauses das Kommando übernommen, der langjährige Sous-Chef Torsten Michel, schon 2004 zur Traube gestoßen. Seit 14 Jahren als Sachse im Schwarzwald, da sag noch einer, es gebe keine Erfolgsbeispiele für die Integration von Migranten aus völlig anderen Kulturkreisen… Natürlich trieb mich auch die Neugier nach Baiersbronn, ob sich die Küche durch den Wechsel verändert habe, ob es neue Akzente gebe oder, im schlimmsten Fall, gar ein Absinken des Niveaus zu gewärtigen sei. Kriegt man am besten heraus, wenn man die große Oper spielen lässt. Die wird hier nicht gerappt, sondern gekocht, in acht Gängen, das Degustationsmenü.


Den Anfang machen drei kleines Amuses. Ein Stückchen Kabeljau mit Safran auf Paprikachip. Krosser Chip, dezenter Fisch, gezupft und auf dem Chip aufgehäuft, dazu eine sehr schöne Mischung aus Safran und Estragon. Das ist alles eher leise, ergänzt sich aber perfekt, kommt über die Eleganz, die Finesse. Da nichts vorschmeckt und alle Komponenten brav in der Reihe bleiben, ist es ein kleines Harmoniewunder. Toll! Als zweites etwas Angustatar mit gerösteter roter Bete, Himbeere und etwas Senf auf Tramezzinibrot. Superbe Komposition, exzellente Fleischqualität, das kommt ungemein saftig am Gaumen an. Erstaunlicherweise geht das sogar mit der Himbeere, auch weil die rote Bete mit ihrer etwas

erdigeren Frucht eine Brücke liefert und der kleine Hauch von Senf eine weitere verbindende Komponente mitbringt, die Schärfe. Würze, Süße, Schärfe, Frucht, saftiges Fleisch, krosses Brot, ein kleines Wunderwerk. Auch der dritte Streich gefällt, die Poulardenkugel, die sich wienerschnitzelesk gibt, also kurz ausgebacken worden ist. Dazu ein paar dezente Lebertupfen, sehr balanciert, erneut sehr fein, trotz des Fetts. Auf dem Niveau darf es gerne weitergehen.

Es folgt das Zweierlei vom Saibling, Mousse und Filet, auf Kartoffel-Senf-Püree, mit Gurken, Senfsamen, Kräutergelee Dill und etwas Malz-Bier-Brot. Der Maitre regt an, die Komponenten nicht einzeln zu vertilgen, sondern auf jede Gabel ein wenig von allen Bestandteilen zu packen, weil sich nur so die volle Aromenvielfalt erschließe. Was soll ich sagen, der Mann weiß, wovon er spricht. Tatsächlich ist das eine regelrechte Explosion an den Papillen, Gurke und Senf, na klar, das kennt man, die schütteln sich gerne mal die Hand, sie streicheln den Saibling aber auch mit viel Hingabe. Die pürierte Kartoffel braucht es für das sahnige Element, das deutlich geschmacksverstärkend wirkt, der Dill und das Kräutergelee setzen noch einige grüne, kräutrige Akzente. Wieder großes Kino, wieder ohne Brechstange, einfach nur fein, elegant und irgendwie klassisch. Kein Hip-Hop, eher Bach in der Version von Jacques Loussier.



Nun kommt ein Gang, den es so auch schon zu Wohlfahrts Zeiten gegeben hat. Siehe meinen Bericht aus dem letzten Sommer. Stopfleberterrine mit Jurancon-Gelee, gebratener Stopfleber und Wachtel. Eigentlich sind es zwei Gerichte auf einem Teller. Rechts die Terrine, bestehend aus drei Schichten, oben und unten die Stopfleber und in der Mitte eine Schicht Kalb, in die auch ein paar Trüffelsplitter und etwas Pilzessenz eingegangen sind. Der Igel ist ja Purist, der braucht das Kalb an dieser Stelle Gans und gar nicht. Es stört aber auch nicht. Ich hätte ja nur gerne noch ein Stückchen mehr von der gottgenialen Leberpastete gehabt. Die das Kalb zum Glänzen nicht braucht, es wirkt gegenüber der sehr intensiven Leber sogar eher blass, ist eine Art Pausenclown. Links auf dem Teller dann die gebratene Fettleber. Ebenfalls Weltklasse, da gibt es kein Vertun. Das dazu gereichte Südfrüchteconcassé ergänzt die Leber bestens, zumal noch etwas Feigencreme und ein paar Pinienkerne hinzugegeben sind, um weitere

Spielmöglichkeiten und Kombinationen zu ermöglichen. Das Wachtelkeulchen in bratenwürziger Sauce setzt einen interessanten Kontrapunkt. Mit der Leber vermischen würde ich es nicht, abwechselnd verkostet entspringt aus dem Kontrast aber ein bemerkenswerter Reiz. Anders als das Kalb gehört die Wachtel unbedingt auf diesen Teller. Alles ist balanciert, sehr detailreich, fast verspielt, ohne dass es je zuviel würde. Das scheint ganz allgemein der neue Stil des Hauses zu sein. Noch eine Spur mehr Elemente, noch etwas feiner als früher. Gefällt mir bis hierhin ausnehmend gut.


Weiter geht die Reise mit dem Carpaccio vom Carabinero-Granat. Sensationsqualität! Serviert mit Thaispargel, Koriander, winzigen Kokoscremetupfen, Corail-Emulsion und einem ausfrittierten Carabinero on top. Sagenhaft! Die Balance zwischen Spargel, Kokos, Koriander und Corail ist einfach nur perfekt! Das frittierte Tier obenauf setzt einen zusätzlichen Texturakzent, ist geschmacklich ansonsten voll auf Linie, das ist kein Stückchen mehlig, einfach nur saftig und frisch, genial! Ich weiß nicht, wie das besser gehen sollte. Schade nur, dass die dazu gereichte Carabinero Ceviche auf einem etwas zu geschmacksintensiven Kropoek serviert wurde. Der einzige kurze Moment im Menü, wo die Balance nicht ganz auf dem Punkt war, das etwas rustikale Krabbenbrot überließ der feine Ceviche nicht wirklich die Bühne. Also habe ich die Ceviche beim zweiten Stück einfach vom Kropoek gezuzelt – und schon wars ein Gedicht mit einem Abgang länger als Schillers Glocke.


Der nächste Schlager: Ein Eismeerkabeljau auf Blattspinat und Muscheln. Hmm, der Spinat schmeckt sehr nach Spinat. Ist nicht einfach, das Zeug zu veredeln, ihm einen Pfiff zu geben, es sternekompatibel zu machen. Aber wenn man mit dem Löffel drangeht und den Fischsud unten im Teller dazu nimmt, der mit einem Hauch Safran unterwegs ist, dann geht die Post ab. Der Sud rockt das Haus und gibt dem Spinat Leben. Der Fisch selbst besticht durch Frische, Festigkeit seines Fleisches und eine perfekte Garung, so dass er wunderbar saftig geblieben ist. Der Sud trägt das Filet direkt in den siebten Himmel. Obenauf liegt übrigens noch ein

wenig Wildkräutersalat, der gibt einen Würzakzent hinzu. Bräuchte es gar nicht, aber was solls, heute wird sinnlos geprasst, immer her damit!
Gerade wollen mir die Tränen in die Augen steigen, weil der schöne Sud schon aufgelöffelt ist, aber noch reichlich Spinat und Fisch übriggeblieben sind, da kommt eine freundliche Servicekraft gesprungen und legt Sauce nach. Ja, is denn heut schon Weihnachten? Nein, es war erst der 22. Dezember, aber irgendwie war es wie Weihnachten!


Überhaupt, der Service, das war vorbildlich. Extrem aufmerksam, immer freundlich, ausgezeichnetes Timing. Obwohl das Lokal am Mittag bei weitem nicht ausgebucht war, die Küche also auf einen frühen Feierabend hätte hinwirken können (ich sage nur Pacaud) wurde nicht versucht, den Service im Schnellverfahren durchzuziehen.

Kompetente Beratung durch Restaurantchef und Sommelier sollten auf diesem Niveau natürlich eine Selbstverständlichkeit sein, das Niveau, auf dem dies in der Schwarzwaldstube geschieht, verdient es aber besonders herausgehoben zu werden. Nur lobende Worte auch für die Koeffizienten auf der Weinkarte. Viele gute deutsche Weine zu sehr verträglichen Tarifen, auch das Meiste aus Frankreich ist sehr kundenfreundlich kalkuliert. Condrieu von Vernay für 98 Euro, da kann man nichts sagen. Bei den Halbflaschen gerät die Auswahl vielleicht ein wenig dünn, gerade wenn man mittags unterwegs ist und vom Tag noch etwas haben will, kann das eng werden. Doch der Igel kennt da nichts, bestellt halt eine ganze Pulle, trinkt nur die Hälfte und lässt sich am Ende den Rest einpacken für den Hund. Irgendwo wird sich ja ein Hund finden.

Na ja, zum Fleisch habe ich natürlich zusätzlich noch ein Gläschen Roten geordert. Auch hier wieder ein superber Tipp des Sommerliers, einen sehr eleganten und trotzdem nachdrücklichen Châteauneuf von Ferrando. Klassetropfen, sollte perfekt zum Hirsch passen und mit 25 Euro für ein sehr gut gezapftes Glas auch alles andere als teuer.

Jetzt aber zum Hirsch. Serviert wurde der Rücken. Und, tiefe Verbeugung, das war so ziemlich das beste Stück aus dem Wald, was mir je auf den Teller gewildert ist. Dazu etwas Hirschschulter, mit Niedrigtemperaturmethode gegart, gezupft und zu einem dicken Taler geformt. Auch interessant, doch eine Spur haut-goutig, das ist nicht ganz so meines. Das Ganze auf einer großartigen Kardamonsauce und mit Beilagen, die die Küche als „Ile de Reunion-Aromen“ bezeichnete, Ananas auf Vanillespieß, Palmherzencreme und Mangokaviar (zum Glück nur einfach kleine Mangokügelchen, kein Molekularblödsinn). Das Süße der Frucht milderte das Hautgoutige der Schulter wunderbar ab. Sie spielt zudem toll mit dem Rehrücken, obwohl ich den größten Teil davon einfach pur verputzt habe, der war einfach zu gut, um ihn mit irgendetwas zu vermengen. Wow, was für ein Erlebnis!


Zu loben auch der Käsewagen. Am liebsten hätte ich unfein von jeder Sorte ein Stückchen haben wollen, doch dann wäre gleich anschließend ein Rettungswagen benötigt worden. Deswegen nur eine kleine Auswahl, natürlich alles voll auf dem Punkt.


Die Dessertabteilung, weiterhin in den bewährten Händen von Pierre Lingelser, eröffnet mit Schaum von Genepilikör in einer dunklen Tuile. Dazu Sauerkirschsorbet, Pralinencreme, Nussplitter, Granny Smith-Würfelchen und weiße Glühweinsauce. Jedes für sich ist exzellent, das Sorbet sogar herausragend. Aber erst zusammen wird der Lukas bis zum Anschlag gehauen. Die grünkräutrigen Liköraromen vibrieren im Zusammenspiel mit den röstig-nussigen Tuiletönen fast am Gaumen, die knallrote Frucht der Kirsche gibt Süße hinzu, der Glühwein nicht nur Alkohol, sondern auch Weihnachtsgewürze, fast etwas Harziges. Sagenhaft!


Mindestens auf gleichem Niveau auch das Eis von sizilianischer Mandarine mit Mandelmilchschaum, Spekulatiuskrümeln und Trockenfrüchten. Das ist so ein Ding, das kommt langsam aber gewaltig. Erst die bitteren Einschläge der Mandarine, dann der Mandelmilchschaum, der fast harmlos wirkt. Die Spekulatiuskrümel und die Trockenfrüchte haben sich runter versteckt, müssen erst exhumiert werden. Dann gehen sie in die Vollen, das ist fast wie ein Kletzenbrot. Aber trotzdem dezent genug, dass die Mandelaromen wahrnehmbar bleiben und die Trockenfrucht die Frischfrucht nicht in den Straßengraben abdrängt. Hier wird das Leitmotiv von Leichtigkeit, Vielfalt und Eleganz fortgeführt, das bereits die salzige Abteilung geprägt hatte.


Irgendwie hatte die Patisserie wohl das Gefühl, noch einen Leistungsnachweis erbringen zu müssen, bei den Mignardises wurde ein wahres Feuerwerk abgeschossen. Ja, is den heut scho Silvester? Drei Stückchen ließ ich mir vom überladenen Dessertwagen auftischen. Ich ging fast in die Knie vor den beiden Macarons, einmal augenzwinkernde Schwarzwälder Kirschtorte, Kirsche im Macaron, Schokolade in der Füllung, die Frucht und der Kakao sind diskret ausbalanciert, besser geht das nicht. Und dann ein Passionsfruchtmacaron. Ist eine dankbare Frucht, die auf intensiv zu trimmen nicht schwerfällt. So intensiv wie hier und gleichzeitig so himmlisch kriegt man sie aber selten. Und trotzdem blieb noch etwas von der Mandelkeksigkeit des Macarons zu schmecken. Lingelser for President!
Fast hätte ich das Cannelé unterschlagen. Innen fast flüssig, leicht zimtig, schöne karamellisierte Noten, obwohl es schokoladig und nicht geröstet war, mit etwas Nougat und Rum, wieder extrem fein und balanciert. Hohe Schule!


Drei Stückchen waren wohl zu bescheiden, ich bekam auch noch ein Baba au Rhum. Und zwar en deux services, also Schokolade und Keks links und Rhum und Frucht rechts. Getrennt oder zusammen zu essen, ich habe beides ausprobiert. Spielt keine Rolle, ist sorum wie sorum genial!


Was für ein grandioses Mahl. Lässig auf gleicher Höhe wie zu Wohlfahrts Zeiten. Kann sein, dass das noch immer das beste Restaurant der Republik ist. Ja, wird wohl so sein. Jedenfalls für uns konservative Liebhaber der klassischen Küche. Wer es moderner mag, muss sich in Osnabrück von Thomas Bühner einen rappen lassen oder Herrn Amador nach Österreich hinterher breakdancen. Irgendwann macht ja auch El Bulli wieder auf. Den Igel wird man häufiger im Schwarzwald oder auch im Sonnora antreffen.

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