Weh-Geh-Weh Willis Gastro Werkstatt Heute: Vierschänkentournee Teil 5
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Willis Gastro Werkstatt
Heute: Vierschänkentournee Teil 5
Hoeneß in den Knast? Tja, so sieht es
aus, der Runde muss ins Eckige, hat der Richter entschieden und zwar
gleich mal für dreieinhalb Jahre. Wobei das nur der Zwischenstand
nach dem ersten Tag der Urteilsverkündung ist. Experten gehen davon
aus, dass sich die Strafe bis zum zweiten Tag der Urteilsverkündung
noch auf 27,2 Jahre erhöhen wird. Schuld waren vor allem Fehler in
der Abwehr, analysierte Hoeneß nach dem (Schau-)Spiel, meine
Verteidiger haben die Räume so eng gemacht, dass ich am Ende in der
Zelle landen musste. In der JVA München freut man sich auf den
prominenten Gast, der insbesondere unter der Dusche sicherlich gerne
in Manndeckung genommen werden wird. Wer sich da zu lange nach der
Seife bückte, lernt eine ganz neue Bedeutung des Wortes "Strafstoß"
kennen. Oder darf der Hoeneß in den offenen Vollzug? Elektronische
Fußfessel als Viererkette des kleinen Mannes? Wäre auch eine
Lösung.
Ich traue mich nach dem ganzen Rummel
jedenfalls nicht mehr, mein Geld in die Schweiz zu bringen. Die
Schweizer haben doch neulich sowieso abgestimmt, dass sie nichts und
niemanden mehr aus dem Ausland reinlassen wollen. Also trage ich
meine Flocken brav nach Frankreich. Zum Beispiel zu Pierre Gagnaire.
Der hat sein Restaurant an der rue Balzac, so dicht am Etoile, dass
man es mit einem gut gezielten Hinkelsteinwurf lässig treffen
könnte, ganz ohne Zaubertrankdoping, ja sogar ohne den Keksriegel
von Sachbachers Evchen.
Allerdings ist das mit dem Gagnaire so
eine Sache. Der gehört zu den besten Köchen der Welt, seit mehr als
zwanzig Jahren nun schon. Ich kenne ihn noch von ganz früher, als er
in St.-Etienne sein erstes Lokal eröffnet hatte und mitten in einer
ziemlich abgewirtschafteten Bergbauregion versuchte, das Restaurant
in einer mittelgroßen Wirtschaftskrise über die Runden zu bringen.
Vergeblich, auch drei leuchtende Michelinsterne halfen nicht. Er ging
nach wenigen Jahren krachend Pleite. Und ich war wahrscheinlich nicht
der einzige, der das eine oder andere Tränchen darob in den Augen
hatte, bei diesem Genie nun nicht mehr essen gehen zu können. Damals
wurden die Köche ja noch nicht wie Fußballer gehandelt - oder wie
Devisen von Schweizer Konten. Die Künstler am Herd wurden noch nicht
alle Pfiff lang von einem Lokal zum nächsten abgeworben. Es stand
daher alles andere als fest, dass Gagnaire der Welt der Fresssäcke
erhalten bleiben würde. Monatelang sah es so aus als zöge er sich
völlig von der Kocherei zurück. Doch dann fasste sich das Hotel
Balzac in Paris ein Herz. Man gab ihm dort eine neue Heimat, es wird
wohl 1996 oder 1997 gewesen sein.
Seitdem kocht er dort die ganz große
Oper. Anders als Ducasse, der seine Köche minimalistischer arbeiten
lässt, mit maximal drei Elementen auf dem Teller, oft geradezu
geometrisch angeordnet, mit dem Lineal ausgerichtet. Bei Gagnaire
fließt der Teller über. Da finden sich zahllose Komponenten, die
der Gast frei kombinieren kann. Oft reicht ein Teller nicht und
stehen rechts und links noch kleine Schälchen daneben, die
zusätzliche Beilagen, Saucen oder ähnliches darbieten. Was Ducasse
schon in der Küche leistet - unendlich viele Zutaten zur perfekten
Harmonie zu vermählen, lässt Gagnaire den Gast selbst erledigen.
Optimales Delegationsverhalten, könnte man sagen. Aber das ist auch
spannender, weil man selbst ein wenig mit entdecken und komponieren
kann. Und weil man besser versteht, wie der Akkord entsteht, wie die
Harmonie gewachsen ist.
Heute steht zwischen dem Hungrigen und
Ducasse oder Gagnaire eigentlich nur eines: Der Preis. Ducasse hat
gerade das Meurice an der rue de Rivoli übernommen. Zwischen 90 und
140 Euro muss man für eine Vorspeise investieren, die Hauptgerichte
schlagen in gleicher Höhe auf den Geldbeutel, Käse oder Desserts
gibt es für vergleichsweise spottbillige 35 Euro. Ohne Getränke
sind das für drei Gänge knapp 300 Euro pro Person, heftig. Zumal
es, anders als bei den meisten anderen Dreisternen in Paris, bei
Ducasse auch kein günstiges Mittagsmenü gibt. Das einzige Menü
besteht aus "drei halben Portionen aus der Karte" plus
Käse, plus Dessert und wird mittags wie abends für 380 Euro
verkauft. Uff! A la carte kann Gagnaire das lächelnd überbieten,
die Durchschnittspreise für Vorspeisen wie Hauptgerichte liegen bei
200 Euro pro Gang. Zu einer Zeit, da draußen krisenbedingt deutlich
mehr Obdachlose auf den Gehwegen herumliegen als je zuvor, kommt mir
das schon ein wenig unsittlich vor. Na ja, dafür gibt es das
sechsgängige Menü schon für 280 Euro. Und mittags,
Schnäppchenalarm, drei Gänge für 85 Euro. Zudem ist die Weinkarte
in vielen Positionen außerordentlich kundenfreundlich kalkuliert.
Sie beginnt, unerhört für einen Dreisterner, bei Flaschenweinen
zwischen 35 und 40 Euro - und da reden wir nicht von Plempe, sondern
von sehr kenntnisreich ausgesuchten Weinen von der Rhône.
Also auf zu Gagnaire! Zwei Gläschen
Champagner vorweg, einen Rosé von Billecart für die beste Igelin
von allen und einen Lanson extra age für mich. Dann kamen auch schon
die Vorspeisen, insgesamt waren es fünf, die vom Format her so
zwischen Amuse und kleinem Entrée lagen und alle gleichzeitig
serviert wurden. Als erstes die Salade Felicia - eine Mischung aus
Choucroute und Ratatouille unter einer Glocke aus ausgehärtetem
Zitronenkristall - dazu ein kleines Raukenblättchen, das genau den
nötigen Pfiff gibt, genial!
Dann ein Wodkagranité mit Birne und
Gorgonzola, unter einer Garnitur von Sellerie und Mangoschnitzen,
eine himmlische Mariage verschiedenster Komponenten, die perfekt
miteinander harmonierten.
Köstlich auch der grüne Spargel mit
Stachelbeerschachbrett, frisch, perfekt gewürzt, in einer ganz
leichten weißen Sauce mit Anklängen von Bearnaise, in die aber auch
ein Haucherl Koriander mit eingegangen ist.
Sensationell auch das Haddocksoufflé,
das mit Weißkohlchips und einigen feinen über die Chips gehobelten
Selleriestreifen serviert wurde.
Lediglich das Muschelcarpaccio mit
Sauce von Espeletteschoten und Tintenfischdaube ließ ein wenig an
Feinheit vermissen, Ketzer könnten lästern, der Weg zum Thunfisch
in Tomatensauce von Saupiquet wäre nicht allzu weit...
Dennoch ein donnernder Auftakt, zu dem
der 2012er Condrieu DePoncins von Francois Villard bestens passte.
Nur mit dem Gorgonzola kam der Viognier nicht ganz mit, zu den
anderen vier Köstlichkeiten passte er perfekt.
Weiter zum Hauptgericht: Gagnaire fuhr
eine Renke auf, unter der knusprigen Haut gebraten, mit
Zitronentandoori-Sauce, Butter Müllerin, Preißelbeerconcassée und
Spinatpüree, dazu weiße Rübchen mit Schnitzen von der rosa
Pampelmuse in Kressesauce. Wieder einmal so eine Geschichte, wo man
am Tisch die Komponenten nach Belieben kombinieren kann. Egal was man
macht, es passt immer. Regelrechte Geschmacksexplosionen am Gaumen,
ein Fest! Zumal der Condrieu fast noch besser dazu passte als der
quergestreifte JVA-Anzug zum Hoeneß.
Von der Müllerinnenbutter gab es für
Gierschlünde noch ein Tiegelchen extra. Guuuute Politik!
Es folgten die Desserts. Da ging es
wieder zu wie bei den Vorspeisen - der Tisch wurde bis zur Kante
vollgepackt. Erst kamen einige Rettungsinselchen voller Petits Fours
Dann ein krachend knuspriges
Haselnussplätzchen mit Papayawürfeln, genial!
Ein Süppchen von konfitierten Früchten
mit Kumquat, Trauben, Mango, rosa Grapefruit und ein paar
Raukeblättern. Und genau die sinds, die den Kick geben und dieses
Dessert so einmalig machen. Totensimpel, aber draufkommen muss man
halt.
Klassischer aber nicht weniger gut,
weil extrem fein gearbeitet und ebenso fein im Geschmack: Die
Mandelhippe mit Pistazien, karamellisierten Mandelblättchen,
Schokoladensauce und Pistazieneis. Großes Kino!
Ehe schließlich der gekochte Obstsalat
von Mango und Papaya, mit einem Hauch Passionsfrucht, Lakritzeis und
weißen Bohnen den Abschluss machte. Auch hier tanzt eigentlich nur
ein Element aus der Reihe, die Bohnen. Die aber mit ihrer mehligen
Textur einen schönen Kontrapunkt zum Eis setzen. Die erdige Lakritz
spielt schön mit dem Bohnenaroma, die Fruchtnoten geben die nötige
Säure und Blume, raffiniert!
Fazit: Für 85 Euro gibt Gagnaire
seinen Mittagsgästen einen tiefen und sehr vielschichtigen Einblick
in seine Küche. Insgesamt waren es mit den vorher noch gereichten
Amuses wohl an die fünfzehn Kleinigkeiten, die wir probieren
durften. Jede für sich vielschichtig und opulent komponiert, wie es
eben der Stil des Hauses ist. Trotzdem wirkt das Ganze eher klassisch
als avantgardistisch - und gerade deswegen ist es wahrscheinlich so
gut! Die drei Sterne sind mehr als verdient, Gagnaire bleibt mit
Ducasse und Savoy zusammen an der absoluten Spitze in Paris.
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