Willi Igel, die Kollektion des Jahres
Weh-Weh-Weh Willis Hausbesuche
Heute: Kollektion des Jahres
„Weinführer, Weinführer, die braucht kein Mensch!“ Klarer Konsens in meiner allmonatlichen Verkostungsrunde. Denn selbst der Herr Parker hatte es ja nicht wirklich drauf, immer wieder erwischen wir ihn dabei, dass sich Weine nach 20 Jahren ganz anders entwickelt haben als er es prognostiziert hatte. Und überhaupt, wer ist das überhaupt, dieser Parker? Am Schluss hat ja ein ganzes Team für ihn verkostet und längst nicht überall, wo Parkerpunkte draufstand, waren auch Parkerpunkte drin.
Immerhin war er nicht bestechlich, der Maryland Bob. Über andere Autoren hört man ja immer wieder tolle Gerüchte, von wegen weit geöffneter Kofferraumdeckel oder Ähnliches. Wieder andere Publikationen veröffentlichen Bestenlisten, auf denen aber nur diejenigen Betriebe aufscheinen, die bereit sind, im Gegenzug soundsoviele Exemplare des entsprechenden Heftes oder Buches abzunehmen.
Und überhaupt, die haben ja zum Teil einen völlig abwegigen Geschmack, die Autoren dieser Weinführer. Denen gefällt zum Teil ein Zeug, das würde man sich seiner Hauskatze nicht zu geben trauen. Fast könnte man glauben, da liefe ein Wettbewerb, wer den abwegigsten Geschmack hat. Rieslinge aus dem Holz werden hochgejubelt, Weine mit gnadenlos amputierter Frucht zur ultima ratio erklärt, Rebsorten verklärt, die die Welt nicht braucht. Der weißgepresste hellrote Goldmuskatellerriesling, herrlich, die schmecken alle wie der Zweite. Und dann gibt’s ex cathedra den Hinweis, dass der Durchschnittstrinker diesen Wein halt nicht versteht, den nur der Herr Weinjournalist so richtig zu begreifen vermag. Ein Wein, der aber selbstverständlich völlig neue Dimensionen eröffnet, neue Maßstäbe setzt und sich endlich einmal vom unerträglichen Mainstream absetzt. Meistens dadurch, dass er nicht schmeckt.
Nee, bleibt mir weg mit Weinführern! Wobei, also, nur mal so unter uns, das macht natürlich schon neugierig, wenn der Eichelmann jetzt schreibt, dass der Winzer X für 15 Euro einen Morstein hergestellt hat, der dem 50-Euro-Geschoss von Wittmann fast ebenbürtig ist. Da könnte man doch beim Gut mal ein Sixpack ordern? Und 100 Punkte von Parker für die Halenbergspätlese von Dönhoff? 100? Da rufe ich doch gleich mal im Fritzmarkt an und frage den Händler meines Vertrauens, ob er für mich da dran kommt. Zusammen mit der Goldkapselhölle von Künstler, die brauche ich natürlich auch, der hat der Sam von Wein-Plus doch ebenfalls volle 100 Punkte zugehofschustert.
Ja Himmelherrgott nochmal, das ist ja die Crux mit diesen Weinführern. Sie sind Weinverführer. Allesamt. Sie verführen zum Weinkauf. Denn diese Neugier, ob das, was einem Profi so richtig Freude gemacht hat, wirklich so genial ist, wie er das ge- oder, schlimmer noch, beschrieben hat, die ist einfach nicht totzukriegen. Und inzwischen kommen die Blogger noch dazu, diese Pest. Sitzen da mit alkoholglänzenden Augen in Mainz oder Frankfurt oder Berlin und probieren die großen Gewächse des VDP, fotografieren sich dabei, und geben Fotos plus Kommentare live und in Farbe ins Gesichtsbuch ein. Damit man die roten Nasen und die Probiereuphorie dokumentiert bekommt und endlich weiß, dass das Kirchenstück von Bürklin, also das Kirchenstück, also nee, also wow, also das ist nun wirklich so zum Niederknien, dass man endlich mal versteht, warum das Kirchenstück heißt. Ja und dann muss ich das natürlich auch gleich wieder haben.
Jetzt reicht es aber! Endgültig! Jetzt schlage ich zurück! Und verleihe erstmals die Auszeichnung der „Willi Igel-Kollektion des Jahres“. Nicht en direct von den großen Verkostungen, sondern mit gehörigem Abstand, ich musste ja erst einmal alles vertieft probieren und dann vor allem für mich selbst eine ausreichende Menge an Flaschen sichern. Denn wenn ich hier erst einmal ausgeplaudert habe, wo der Hammer 2012 tatsächlich hing, dann ist das Zeug ja innert weniger Tage ausverkauft. Zumal ich erstens keinen abwegigen Geschmack habe, sondern mich zum Mainstream bekenne, zweitens verfügt mein Wagen über keinen Kofferraum und mussten die Preisträger keine Zeitschriften kaufen, um hier erwähnt zu werden. Nein, beim Weinigel werden wirklich die Besten gekrönt. Punkt, Aus, Ende!
Einfach war es nicht, denn irgendwie scheint es 2012 sehr schwer gewesen zu sein, wirklich schlechten Wein zu machen. Selbst die Balthasar Ress-Weine, 2011 wahrscheinlich eher wegen des sympathischen Winzers als wegen der Flascheninhalte viel zu hoch gelobt, haben 2012 ein ansprechendes Niveau erreicht. Viele andere Güter haben große bis sehr große Weine in Hülle und Fülle in die Schlegel und Bocksbeutel der Nation gefüllt. Fritz Haag zum Beispiel, in den letzten Jahren eher mit etwas schwankenden Qualitäten unterwegs, bringt 2012 die Igelaugen wieder zum Leuchten. Thomas Haag stellt ebenfalls ein blitzsauberes Sortiment an den Start, zum wiederholten Mal auch mit extrem starken trockenen Weinen. Längst sind die Zeiten vorbei, da man von Schloss Lieser eigentlich fast nur die Restsüßen kaufen konnte. Ein paar Dutzend Moselkilometer weiter Richtung Koblenz fand gar eine richtige Revolution statt, Reinhard Löwenstein macht trockene Weine! Richtig trocken, amtlich, mit Brief und Prüfsiegel. Und da läuten die Glocken, denn was aus dem Röttgen und vor allem dem Uhlen Laubach abgefüllt wurde, liegt hoch in den neunzig Punkten, 93 und 96 habe ich mir mal notiert. Fast wäre ich versucht, Reinhard auf seine alten Tage noch zum Newcomer des Jahres zu erklären, so neu und anders wirken diese Weine. Großartig, nur ganz knapp an meinem persönlichen Podium der drei jahresbesten Kollektionen vorbei. Gleiches gilt für Van Volxem, der mit dem Kanzemer Altenberg und dem Schwarzhofberger P zwei der besten Weine des Jahres abliefert und zudem mit seinem Schiefer-Riesling zeigt, dass große Trinkfreude auch in der heutigen Zeit noch unter 10 Euro zu haben ist.
Im Rheingau hat Künstler mit der Hölle und der Goldkapselhölle zwei der besten Weine des Jahres gefüllt. Riesengroß! Allerdings kommt er für die Kollektion des Jahres nicht in Betracht, dafür finde ich die kleineren Weine und die großen Gewächse aus den Rüdesheimer Lagen einmal mehr zu schwach. Nicht ganz auf der Höhe leider Robert Weil und Schloss Johannisberg. Dafür geht es bei Langwerth von Simmern und Flick deutlich nach vorne. Aber nicht bis zu meinem persönlichen Siegertreppchen.
An der Nahe dann kann ich endlich meine Bronzemedaille vergeben. Dönnhoff hat eine gigantische Kollektion abgeliefert. Allen voran die Hermannshöhle, die in diesem Jahr kraftvoller, runder, extraktreicher als je zuvor wirkt. Das geht in Richtung einer 96 oder gar 97. Aber auch das großartige Dellchen und der Felsenberg liegen über der magischen Neunzigpunktemarke. Diese Qualität zieht sich nahtlos durch das gesamt Sortiment. Bei Dönnhoffs kleineren Weinen findet man einige der Preis-Leistungs-Renner des Jahres, zum Beispiel den exzellenten Tonschiefer. Emrich-Schönleber und Diel können da bei weitem nicht mithalten. Diels Weine sind wieder einmal gut, das große Potenzial des Jahrgangs schöpfen sie aber nicht aus. Emrich-Schönleber ist meine persönliche Enttäuschung des Jahres, aber dafür gibt’s nun wahrlich keine Medaille. Heterogene Qualitäten bei Schäfer-Fröhlich, insbesondere das Frühlingsplätzchen und der Halenberg gefallen mir aber sehr gut.
In der Pfalz beeindruckt einmal mehr Georg Mosbacher. Schon die kleinen Weine machen große Freude, der Buntsandstein zum Beispiel. Bei den großen Gewächsen dann kaum etwas unter 90, wobei der Jesuitengarten mit 94 Punkten ganz klar vorne steht. Auch Christmann setzt seinen Aufwärtstrend der letzten Jahre fort, steht so langsam fast wieder dort, wo er vor der Umstellung auf biodynamisch schon einmal war. 95 Punkte für den Idig, 94 für den Mandelgarten, das Podest schafft das Gut auch deswegen nicht ganz, weil die kleinen Weine deutlich hinter der Spitze zurück bleiben. Buhl stagniert ein wenig, während Bassermann mit einem grandiosen Kirchenstück (95 bis 96) und einem verblüffenden Kalkofen (93) Furore macht. Auch die anderen Großen Gewächse von Bassermann erschienen mir sehr gelungen, insgesamt ging es für das Gut nur knapp am Treppchen vorbei. Auf dem Bürklin-Wolf die Silbermedaille des Jahres umgehängt bekommt. Eine phänomenale Kollektion, die mit dem Kirchenstück nicht nur einen der teuersten, sondern auch den besten der trockenen Weine des Jahres umfasst. Grandiose Fülle gepaart mit einer faszinierenden Eleganz, saftig, harmonisch, unverkennbar der Stil das Hauses, einfach perfekt. 99 Igelpunkte. Auch das Ungeheuer schwingt sich in beachtliche Punktehöhen auf, so um die 93 würde ich zücken. Der Jesuitengarten ist fast noch einen Tick besser, dafür bleiben Pechstein und Hohenmorgen in diesem Jahr ein wenig unter ihren Möglichkeiten. Das Preisniveau allerdings ist gesalzen, das gilt insbesondere auch für die PCs und die kleineren Weine, die für meine Begriffe schlicht zu teuer sind. Im Kielwasser des Kirchenstücks ergeben sich solche Effekte fast automatisch, sicher, dennoch würde ich bei Bürklin vor allem die großen Weine kaufen, weil dort das Preis-Leistungs-Verhältnis trotz der hohen Preise stimmt.
Der Sieger und diesjährige Willi Igel-Preisträger kommt aus Rheinhessen. Keller ist es nicht, der hat wie immer sehr gut gearbeitet, begeistert mich in der Spitze aber bei weitem nicht so sehr wie zum Beispiel Wittmann. Wo der Morstein zwar noch unglaublich verschlossen wirkt, mit seinem unfassbaren Extrakt und seiner Tiefe aber ganz zwangsläufig riesengroß werden muss. Das dürften um die 98 Punkte werden. Auch das Kirchspiel gefällt mir sehr gut (93 Punkte), die Aulerde liegt einen Tick dahinter. Es geht aber noch besser – und damit kommen wir zum Jahresbesten:
Oliver Spanier und Caroline Gillot haben mit ihren beiden Weingütern den rasanten Aufwärtstrend der beiden letzten Jahre fortgesetzt und nunmehr endgültig den Vogel abgeschossen. Den besten Wein des Jahres wird man hier vielleicht nicht finden, wenngleich der derzeit noch im Fass schlummernde Rothenberg durchaus mit den besten wird mithalten können. Am Ende ist es dann auch eine Geschmacksfrage, ob man den Morstein von Wittmann, das Kirchenstück von Bürklin, die Goldkapselhölle von Künstler oder den Kühlingschen Rothenberg bevorzugt. Aber bei Kühling und Battenfeld ist es nicht der eine Wein, sondern vor allem die Homogenität zwischen kleineren und größeren Gewächsen, die besticht. Es gibt praktisch keine Ausfälle, man bewegt sich durchweg auf exzellentem Niveau. Kurz einige Höhepunkte der Kollektion, beginnend mit den einfacheren Weinen:
Kühling-Gillot Niersteiner Riesling trocken 2012: Sehr voll, balanciert, schönes Spiel von Frucht und Mineralik, dicht, tolle Länge, sehr geradlinig am Gaumen, bricht nicht ab, steht sehr lange und bringt richtig viel Stoff mit. Der Alkohol ist gut eingebunden und das Verhältnis Säure/Restzucker stimmt ebenfalls, ein Niersteiner, der an die besten Jahrgänge dieses Ortsweins (2007/2011) anknüpfen sollte und durchaus auch Reifepotenzial mitbringt. 89 Willipunkte.
Kühling-Gillot Nackenheimer Riesling trocken 2012: Etwas cremiger, weniger Frucht, mehr auf der mineralischen Schiene unterwegs, kraftvoll, gute Länge, im Abgang ganz leicht ins Bittere spielend, aber dennoch kaum hinter dem Niersteiner zurückstehend. Eher der Wein für den Mineralfreak, während der Niersteiner noch etwas mehr Frucht mitbringt. 88 Willipunkte.
Battenfeld-Spanier Eisbach Riesling trocken 2012: Eigentlich kein Ortswein, sondern bei Battenfeld als „Edition Weiss“ eine Liga drunter eingestuft. Nase noch eher verhalten, am Gaumen sehr schöne Kräutrigkeit, eleangt, kühl, feine Mineralik, nicht der tiefgründigste Wein, dafür aber sehr harmonisch und mit schöner Länge. 87 Willipunkte.
Battenfeld Spanier Mölsheim Riesling trocken 2012: Tolle Nase, voll, schon sehr offen, schöne Rieslingfrucht. Am Gaumen noch etwas verhaltener, rötliche Frucht, dazu ein zitroniger Einschlag, vor allem aber extrem mineralisch. Schön dicht, gute Länge, vielschichtiger Abgang. 88 Willipunkte.
Große Gewächse:
Battenfeld Spanier Frauenberg 2012: Verhaltene Nase, vor allem zitronige Frucht und eine Schäufelchen Mineralik. Am Gaumen vielschichtiger und besser als es die Nase verheißen würde. Viel Schmelz, Orangenfrucht, Mineralität noch etwas verhaltener, mittlere Länge, recht differenziert. 91+ Willipunkte.
Battenfeld Spanier Zellerweg am schwarzen Herrgott 2012: Nase noch verschlossen, am Gaumen aber wunderbar voll, sehr mineralisch, ölig, dicht und sehr komplex, von den Großen Gewächsen aus dem Hause Spanier definitiv der Längste – wobei man sagen muss, dass keiner der Spanier so kurz war wie die iberischen Landsleute es im Schnitt sind. Sollte sich sehr gut entwickeln, ist aber noch nicht ganz da, insofern ist auch etwas Potenzialwertung dabei, wenn ich ihn mit 92 bis 93+ Willipunkten versehe.
Kühling-Gillot Ölberg 2012: Einer der besten Ölberge der letzten acht Jahre. Schöne, sehr mineralische Nase, am Gaumen geradezu üppig, natürlich mit kraftvoller Mineralik, aber auch mit einer ordentlichen Schippe Frucht, im Abgang ein wenig Karamell dabei, sehr langes Spiel von Süße und Säure, großartiges Finale. 91+ Willipunkte. Unter den GGs beider Marken sicher mit das beste Preis-Leistungs-Verhältnis.
Kühling-Gillot Pettenthal 2012: Im Juni noch recht schwierig zu probieren, Nase noch relativ verschlossen, mit etwas Luft und Zeit entwickelt sich aber die bekannt fette Mineralikbombe. Am Gaumen mit ordentlich zitroniger Frucht im Anklang, tiefgründig, ewig lang, richtig groß. Im September schon deutlich weiter, offener, massiver, braucht aber immer noch viel Zeit, um sich ganz zu runden. 96+ Willipunkte.
Kühling-Gillot Rothenberg 2012: Dichte, sehr tiefe Nase, am Gaumen noch sehr, sehr verschlossen, fast nicht richtig zu verkosten, aber man spürt schon heute, dass es ein extrem voller, ungemein dichter Wein werden wird. Sehr schwer zu bewerten, mit aller Vorsicht gibt es eine Potenzialwertung von 97++ Willipunkten.
Viel gibt von diesen Weinen nicht mehr zu kaufen. Meine Schuld, denn der Igelkeller ist so randvoll davon, dass ich den Rothenberg im Frühjahr dann wahrscheinlich in meine Wohnhöhle werde stellen müssen.
Kompliment an die drei Preisträger und die vielen anderen Erzeuger die diesen großartigen Jahrgang geprägt haben. Der Blick aus dem Fenster in den letzten zwei Wochen ließ schon ahnen, dass 2013 eine sehr viel schwierigere Geschichte sein wird. Also, liebe Leute, schlagt beim 2012er zu, solange es den noch gibt!
Heute: Kollektion des Jahres
„Weinführer, Weinführer, die braucht kein Mensch!“ Klarer Konsens in meiner allmonatlichen Verkostungsrunde. Denn selbst der Herr Parker hatte es ja nicht wirklich drauf, immer wieder erwischen wir ihn dabei, dass sich Weine nach 20 Jahren ganz anders entwickelt haben als er es prognostiziert hatte. Und überhaupt, wer ist das überhaupt, dieser Parker? Am Schluss hat ja ein ganzes Team für ihn verkostet und längst nicht überall, wo Parkerpunkte draufstand, waren auch Parkerpunkte drin.
Immerhin war er nicht bestechlich, der Maryland Bob. Über andere Autoren hört man ja immer wieder tolle Gerüchte, von wegen weit geöffneter Kofferraumdeckel oder Ähnliches. Wieder andere Publikationen veröffentlichen Bestenlisten, auf denen aber nur diejenigen Betriebe aufscheinen, die bereit sind, im Gegenzug soundsoviele Exemplare des entsprechenden Heftes oder Buches abzunehmen.
Und überhaupt, die haben ja zum Teil einen völlig abwegigen Geschmack, die Autoren dieser Weinführer. Denen gefällt zum Teil ein Zeug, das würde man sich seiner Hauskatze nicht zu geben trauen. Fast könnte man glauben, da liefe ein Wettbewerb, wer den abwegigsten Geschmack hat. Rieslinge aus dem Holz werden hochgejubelt, Weine mit gnadenlos amputierter Frucht zur ultima ratio erklärt, Rebsorten verklärt, die die Welt nicht braucht. Der weißgepresste hellrote Goldmuskatellerriesling, herrlich, die schmecken alle wie der Zweite. Und dann gibt’s ex cathedra den Hinweis, dass der Durchschnittstrinker diesen Wein halt nicht versteht, den nur der Herr Weinjournalist so richtig zu begreifen vermag. Ein Wein, der aber selbstverständlich völlig neue Dimensionen eröffnet, neue Maßstäbe setzt und sich endlich einmal vom unerträglichen Mainstream absetzt. Meistens dadurch, dass er nicht schmeckt.
Nee, bleibt mir weg mit Weinführern! Wobei, also, nur mal so unter uns, das macht natürlich schon neugierig, wenn der Eichelmann jetzt schreibt, dass der Winzer X für 15 Euro einen Morstein hergestellt hat, der dem 50-Euro-Geschoss von Wittmann fast ebenbürtig ist. Da könnte man doch beim Gut mal ein Sixpack ordern? Und 100 Punkte von Parker für die Halenbergspätlese von Dönhoff? 100? Da rufe ich doch gleich mal im Fritzmarkt an und frage den Händler meines Vertrauens, ob er für mich da dran kommt. Zusammen mit der Goldkapselhölle von Künstler, die brauche ich natürlich auch, der hat der Sam von Wein-Plus doch ebenfalls volle 100 Punkte zugehofschustert.
Ja Himmelherrgott nochmal, das ist ja die Crux mit diesen Weinführern. Sie sind Weinverführer. Allesamt. Sie verführen zum Weinkauf. Denn diese Neugier, ob das, was einem Profi so richtig Freude gemacht hat, wirklich so genial ist, wie er das ge- oder, schlimmer noch, beschrieben hat, die ist einfach nicht totzukriegen. Und inzwischen kommen die Blogger noch dazu, diese Pest. Sitzen da mit alkoholglänzenden Augen in Mainz oder Frankfurt oder Berlin und probieren die großen Gewächse des VDP, fotografieren sich dabei, und geben Fotos plus Kommentare live und in Farbe ins Gesichtsbuch ein. Damit man die roten Nasen und die Probiereuphorie dokumentiert bekommt und endlich weiß, dass das Kirchenstück von Bürklin, also das Kirchenstück, also nee, also wow, also das ist nun wirklich so zum Niederknien, dass man endlich mal versteht, warum das Kirchenstück heißt. Ja und dann muss ich das natürlich auch gleich wieder haben.
Jetzt reicht es aber! Endgültig! Jetzt schlage ich zurück! Und verleihe erstmals die Auszeichnung der „Willi Igel-Kollektion des Jahres“. Nicht en direct von den großen Verkostungen, sondern mit gehörigem Abstand, ich musste ja erst einmal alles vertieft probieren und dann vor allem für mich selbst eine ausreichende Menge an Flaschen sichern. Denn wenn ich hier erst einmal ausgeplaudert habe, wo der Hammer 2012 tatsächlich hing, dann ist das Zeug ja innert weniger Tage ausverkauft. Zumal ich erstens keinen abwegigen Geschmack habe, sondern mich zum Mainstream bekenne, zweitens verfügt mein Wagen über keinen Kofferraum und mussten die Preisträger keine Zeitschriften kaufen, um hier erwähnt zu werden. Nein, beim Weinigel werden wirklich die Besten gekrönt. Punkt, Aus, Ende!
Einfach war es nicht, denn irgendwie scheint es 2012 sehr schwer gewesen zu sein, wirklich schlechten Wein zu machen. Selbst die Balthasar Ress-Weine, 2011 wahrscheinlich eher wegen des sympathischen Winzers als wegen der Flascheninhalte viel zu hoch gelobt, haben 2012 ein ansprechendes Niveau erreicht. Viele andere Güter haben große bis sehr große Weine in Hülle und Fülle in die Schlegel und Bocksbeutel der Nation gefüllt. Fritz Haag zum Beispiel, in den letzten Jahren eher mit etwas schwankenden Qualitäten unterwegs, bringt 2012 die Igelaugen wieder zum Leuchten. Thomas Haag stellt ebenfalls ein blitzsauberes Sortiment an den Start, zum wiederholten Mal auch mit extrem starken trockenen Weinen. Längst sind die Zeiten vorbei, da man von Schloss Lieser eigentlich fast nur die Restsüßen kaufen konnte. Ein paar Dutzend Moselkilometer weiter Richtung Koblenz fand gar eine richtige Revolution statt, Reinhard Löwenstein macht trockene Weine! Richtig trocken, amtlich, mit Brief und Prüfsiegel. Und da läuten die Glocken, denn was aus dem Röttgen und vor allem dem Uhlen Laubach abgefüllt wurde, liegt hoch in den neunzig Punkten, 93 und 96 habe ich mir mal notiert. Fast wäre ich versucht, Reinhard auf seine alten Tage noch zum Newcomer des Jahres zu erklären, so neu und anders wirken diese Weine. Großartig, nur ganz knapp an meinem persönlichen Podium der drei jahresbesten Kollektionen vorbei. Gleiches gilt für Van Volxem, der mit dem Kanzemer Altenberg und dem Schwarzhofberger P zwei der besten Weine des Jahres abliefert und zudem mit seinem Schiefer-Riesling zeigt, dass große Trinkfreude auch in der heutigen Zeit noch unter 10 Euro zu haben ist.
Im Rheingau hat Künstler mit der Hölle und der Goldkapselhölle zwei der besten Weine des Jahres gefüllt. Riesengroß! Allerdings kommt er für die Kollektion des Jahres nicht in Betracht, dafür finde ich die kleineren Weine und die großen Gewächse aus den Rüdesheimer Lagen einmal mehr zu schwach. Nicht ganz auf der Höhe leider Robert Weil und Schloss Johannisberg. Dafür geht es bei Langwerth von Simmern und Flick deutlich nach vorne. Aber nicht bis zu meinem persönlichen Siegertreppchen.
An der Nahe dann kann ich endlich meine Bronzemedaille vergeben. Dönnhoff hat eine gigantische Kollektion abgeliefert. Allen voran die Hermannshöhle, die in diesem Jahr kraftvoller, runder, extraktreicher als je zuvor wirkt. Das geht in Richtung einer 96 oder gar 97. Aber auch das großartige Dellchen und der Felsenberg liegen über der magischen Neunzigpunktemarke. Diese Qualität zieht sich nahtlos durch das gesamt Sortiment. Bei Dönnhoffs kleineren Weinen findet man einige der Preis-Leistungs-Renner des Jahres, zum Beispiel den exzellenten Tonschiefer. Emrich-Schönleber und Diel können da bei weitem nicht mithalten. Diels Weine sind wieder einmal gut, das große Potenzial des Jahrgangs schöpfen sie aber nicht aus. Emrich-Schönleber ist meine persönliche Enttäuschung des Jahres, aber dafür gibt’s nun wahrlich keine Medaille. Heterogene Qualitäten bei Schäfer-Fröhlich, insbesondere das Frühlingsplätzchen und der Halenberg gefallen mir aber sehr gut.
In der Pfalz beeindruckt einmal mehr Georg Mosbacher. Schon die kleinen Weine machen große Freude, der Buntsandstein zum Beispiel. Bei den großen Gewächsen dann kaum etwas unter 90, wobei der Jesuitengarten mit 94 Punkten ganz klar vorne steht. Auch Christmann setzt seinen Aufwärtstrend der letzten Jahre fort, steht so langsam fast wieder dort, wo er vor der Umstellung auf biodynamisch schon einmal war. 95 Punkte für den Idig, 94 für den Mandelgarten, das Podest schafft das Gut auch deswegen nicht ganz, weil die kleinen Weine deutlich hinter der Spitze zurück bleiben. Buhl stagniert ein wenig, während Bassermann mit einem grandiosen Kirchenstück (95 bis 96) und einem verblüffenden Kalkofen (93) Furore macht. Auch die anderen Großen Gewächse von Bassermann erschienen mir sehr gelungen, insgesamt ging es für das Gut nur knapp am Treppchen vorbei. Auf dem Bürklin-Wolf die Silbermedaille des Jahres umgehängt bekommt. Eine phänomenale Kollektion, die mit dem Kirchenstück nicht nur einen der teuersten, sondern auch den besten der trockenen Weine des Jahres umfasst. Grandiose Fülle gepaart mit einer faszinierenden Eleganz, saftig, harmonisch, unverkennbar der Stil das Hauses, einfach perfekt. 99 Igelpunkte. Auch das Ungeheuer schwingt sich in beachtliche Punktehöhen auf, so um die 93 würde ich zücken. Der Jesuitengarten ist fast noch einen Tick besser, dafür bleiben Pechstein und Hohenmorgen in diesem Jahr ein wenig unter ihren Möglichkeiten. Das Preisniveau allerdings ist gesalzen, das gilt insbesondere auch für die PCs und die kleineren Weine, die für meine Begriffe schlicht zu teuer sind. Im Kielwasser des Kirchenstücks ergeben sich solche Effekte fast automatisch, sicher, dennoch würde ich bei Bürklin vor allem die großen Weine kaufen, weil dort das Preis-Leistungs-Verhältnis trotz der hohen Preise stimmt.
Der Sieger und diesjährige Willi Igel-Preisträger kommt aus Rheinhessen. Keller ist es nicht, der hat wie immer sehr gut gearbeitet, begeistert mich in der Spitze aber bei weitem nicht so sehr wie zum Beispiel Wittmann. Wo der Morstein zwar noch unglaublich verschlossen wirkt, mit seinem unfassbaren Extrakt und seiner Tiefe aber ganz zwangsläufig riesengroß werden muss. Das dürften um die 98 Punkte werden. Auch das Kirchspiel gefällt mir sehr gut (93 Punkte), die Aulerde liegt einen Tick dahinter. Es geht aber noch besser – und damit kommen wir zum Jahresbesten:
Oliver Spanier und Caroline Gillot haben mit ihren beiden Weingütern den rasanten Aufwärtstrend der beiden letzten Jahre fortgesetzt und nunmehr endgültig den Vogel abgeschossen. Den besten Wein des Jahres wird man hier vielleicht nicht finden, wenngleich der derzeit noch im Fass schlummernde Rothenberg durchaus mit den besten wird mithalten können. Am Ende ist es dann auch eine Geschmacksfrage, ob man den Morstein von Wittmann, das Kirchenstück von Bürklin, die Goldkapselhölle von Künstler oder den Kühlingschen Rothenberg bevorzugt. Aber bei Kühling und Battenfeld ist es nicht der eine Wein, sondern vor allem die Homogenität zwischen kleineren und größeren Gewächsen, die besticht. Es gibt praktisch keine Ausfälle, man bewegt sich durchweg auf exzellentem Niveau. Kurz einige Höhepunkte der Kollektion, beginnend mit den einfacheren Weinen:
Kühling-Gillot Niersteiner Riesling trocken 2012: Sehr voll, balanciert, schönes Spiel von Frucht und Mineralik, dicht, tolle Länge, sehr geradlinig am Gaumen, bricht nicht ab, steht sehr lange und bringt richtig viel Stoff mit. Der Alkohol ist gut eingebunden und das Verhältnis Säure/Restzucker stimmt ebenfalls, ein Niersteiner, der an die besten Jahrgänge dieses Ortsweins (2007/2011) anknüpfen sollte und durchaus auch Reifepotenzial mitbringt. 89 Willipunkte.
Kühling-Gillot Nackenheimer Riesling trocken 2012: Etwas cremiger, weniger Frucht, mehr auf der mineralischen Schiene unterwegs, kraftvoll, gute Länge, im Abgang ganz leicht ins Bittere spielend, aber dennoch kaum hinter dem Niersteiner zurückstehend. Eher der Wein für den Mineralfreak, während der Niersteiner noch etwas mehr Frucht mitbringt. 88 Willipunkte.
Battenfeld-Spanier Eisbach Riesling trocken 2012: Eigentlich kein Ortswein, sondern bei Battenfeld als „Edition Weiss“ eine Liga drunter eingestuft. Nase noch eher verhalten, am Gaumen sehr schöne Kräutrigkeit, eleangt, kühl, feine Mineralik, nicht der tiefgründigste Wein, dafür aber sehr harmonisch und mit schöner Länge. 87 Willipunkte.
Battenfeld Spanier Mölsheim Riesling trocken 2012: Tolle Nase, voll, schon sehr offen, schöne Rieslingfrucht. Am Gaumen noch etwas verhaltener, rötliche Frucht, dazu ein zitroniger Einschlag, vor allem aber extrem mineralisch. Schön dicht, gute Länge, vielschichtiger Abgang. 88 Willipunkte.
Große Gewächse:
Battenfeld Spanier Frauenberg 2012: Verhaltene Nase, vor allem zitronige Frucht und eine Schäufelchen Mineralik. Am Gaumen vielschichtiger und besser als es die Nase verheißen würde. Viel Schmelz, Orangenfrucht, Mineralität noch etwas verhaltener, mittlere Länge, recht differenziert. 91+ Willipunkte.
Battenfeld Spanier Zellerweg am schwarzen Herrgott 2012: Nase noch verschlossen, am Gaumen aber wunderbar voll, sehr mineralisch, ölig, dicht und sehr komplex, von den Großen Gewächsen aus dem Hause Spanier definitiv der Längste – wobei man sagen muss, dass keiner der Spanier so kurz war wie die iberischen Landsleute es im Schnitt sind. Sollte sich sehr gut entwickeln, ist aber noch nicht ganz da, insofern ist auch etwas Potenzialwertung dabei, wenn ich ihn mit 92 bis 93+ Willipunkten versehe.
Kühling-Gillot Ölberg 2012: Einer der besten Ölberge der letzten acht Jahre. Schöne, sehr mineralische Nase, am Gaumen geradezu üppig, natürlich mit kraftvoller Mineralik, aber auch mit einer ordentlichen Schippe Frucht, im Abgang ein wenig Karamell dabei, sehr langes Spiel von Süße und Säure, großartiges Finale. 91+ Willipunkte. Unter den GGs beider Marken sicher mit das beste Preis-Leistungs-Verhältnis.
ein wenig verliebt - Willi Igel und Carolin Gillot
Kühling-Gillot Pettenthal 2012: Im Juni noch recht schwierig zu probieren, Nase noch relativ verschlossen, mit etwas Luft und Zeit entwickelt sich aber die bekannt fette Mineralikbombe. Am Gaumen mit ordentlich zitroniger Frucht im Anklang, tiefgründig, ewig lang, richtig groß. Im September schon deutlich weiter, offener, massiver, braucht aber immer noch viel Zeit, um sich ganz zu runden. 96+ Willipunkte.
Kühling-Gillot Rothenberg 2012: Dichte, sehr tiefe Nase, am Gaumen noch sehr, sehr verschlossen, fast nicht richtig zu verkosten, aber man spürt schon heute, dass es ein extrem voller, ungemein dichter Wein werden wird. Sehr schwer zu bewerten, mit aller Vorsicht gibt es eine Potenzialwertung von 97++ Willipunkten.
Viel gibt von diesen Weinen nicht mehr zu kaufen. Meine Schuld, denn der Igelkeller ist so randvoll davon, dass ich den Rothenberg im Frühjahr dann wahrscheinlich in meine Wohnhöhle werde stellen müssen.
Kompliment an die drei Preisträger und die vielen anderen Erzeuger die diesen großartigen Jahrgang geprägt haben. Der Blick aus dem Fenster in den letzten zwei Wochen ließ schon ahnen, dass 2013 eine sehr viel schwierigere Geschichte sein wird. Also, liebe Leute, schlagt beim 2012er zu, solange es den noch gibt!
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