Westhofener Aulerde, Riesling GG 2009, Weingut Wittmann
Weh-Weh-Weh Willis Wein Werkstatt
Heute auf der Hebebühne: Westhofener Aulerde, Riesling GG 2009, Weingut Wittmann
Ach, Rheinhessen! Jahrzehnte lang stellt Ihr ein Zeugs her, das man nicht einmal in die Asse oder nach Gorleben abkippen möchte. Liebfraumilch heißt das schwerwiegendste Verbrechen aus dieser Zeit – hinter dem zweiten Weltkrieg wahrscheinlich auf Platz zwei der ewigen Rangliste der rufschädigendsten Exportartikel Deutschlands. Noch heute ist dem Amerikaner als solchem schwer beizubiegen, dass Deutschland recht ordentliche Weißweine herzustellen in der Lage ist. Weil in achtzig Prozent der amerikanischen Liquor-Stores im Deutschland-Regal fast nur die Liebfraumilch auf ahnungslose Kundschaft lauert. Dazwischen verirrt sich höchstens mal eine Flasche aus der Massenerzeugung von Ress oder ein einfacherer Wein von Ernie Loosen. Man ziehe den Hut vor den Inhabern der restlichen Liquor-Stores, die in diesem qualitätsaversen Umfeld ganz mühsam als Entwicklungshelfer Egon Müller, Franz Künstler, Fritz Haag und andere an den Markt zu bringen suchen!
Ach, Rheinhessen! Dann habt Ihr irgendwann an der Schwelle der Neunziger nach Jahrzehnten der Sünde endlich begriffen, dass die Plörre keine Zukunft hat – und was passiert? Ihr marschiert gleich durch ans andere Ende der Fahnenstange und prügelt eine Mineralität in Eure Rieslinge, dass es staubt und fast schon zwischen den Zähnen knirscht. Obendrein ist das Zeug inzwischen konzentrierter als ein Mensa-Aspirant beim IQ-Test. Ich habe schon Morsteine von Wittmann und Kirchspiele von Keller im Glas gehabt, mit denen musste man richtig kämpfen, um sie intellektuell zu verarbeiten. Schon wieder macht Ihr Stress, Ihr Rheinhessen! Und inzwischen ganz nebenbei die vielleicht besten trockenen Rieslinge der Republik.
Insofern ists meist ein innerlicher Feiertag, wenn ich einen Battenfeld-Spanier, einen Kühling-Gillot, einen Keller oder einen Wittmann aus der Kühlung hole. Und immer ist es ein Abend, an dem ich nicht abgelenkt werde und mich wirklich dem Wein widmen kann. Das braucht er auch, denn diese vier großen Erzeuger stellen die komplexesten trockenen Weine der Republik her. Kleiner haben die es nicht. Ich hatte 2009 ganz kräftig eingekauft und sollte die Großen Gewächse jetzt eigentlich mal ein halbes bis ganzes Jahrzehnt schlafen legen. Manchmal packt es mich aber und ich will einfach mal zwischendrin nach dem Rechten sehen, den Entwicklungsstand prüfen – oder was einem halt sonst so als Ausrede einfällt, wenn der Hedonismus wieder zum oenologischen Kindsmord verführt.
Zur Zeit ist Wittmann dran. Den Morstein lasse ich allerdings noch im Keller. Der ist so anstrengend, der passt nicht immer. Und das Brunnenhäuschen bleibt auch unangetastet. Das ist für mich der Wittmann-Spitzenreiter in 2009 und den hebe ich mir für noch größere Feiertage auf. Nein, mir ist irgendwie so nach Aulerde. Das ist der frühreifste, der einfachste und vielleicht auch der zugänglichste der Wittmänner.
In der Nase natürlich Mineralität pur. Kreidig-granitig gibt er sich, bis fast ins verbrannte Gummi hinein. Und fuhrwerkt mit dieser Mineralik breitreifig an den Rezeptoren im Riechkolben herum. Eine typische Wittmann-Nase! So kräftig wie bei kaum einem anderen Riesling. Ganz mühsam arbeitet sich daraus mit der Zeit wie ein Kanalarbeiter aus dem Schlick ein kleiner gelber Apfel an die Oberfläche. Er gibt dem Duft etwas mehr Balance, etwas mehr Vielfalt, auch wenn das Leitmotiv dieser olfaktorischen Komposition natürlich die Mineralik bleibt. Die aber nicht so penetrant daher kommt wie beim jungen Morstein aus 2009. Die Aulerde hätte alle Chancen bei „Deutschland sucht den Morstein light“. Oder den Morstein für Weicheier, könnte man fast sagen, wenn Weicheier diejenigen sind, die gerne etwas Frucht in ihrem Mineraliencocktail haben. So wie es neben Vitamin- und Mineraltabletten ja auch Kombipräparate mit dem Besten aus beiden Welten gibt.
Am Gaumen zeigt sich die Aulerde jedenfalls deutlich harmonischer und schon weiter entwickelt als man der Nase nach vermutet hätte. Und der bringt hier sogar noch mehr Wucht mit als im Gewürzprüfer, der Teufelskerl. Im Charakter nicht ganz so apfelig, eher saftige, vollreife Aprikose mit feiner Fruchtsüße. Prägnante, sehr nachdrückliche, fast ein wenig zitronige Säure, die sich wunderbar an einer schieren Steilwand von Mineralität abarbeiten kann. Druckvoll, aber vielleicht nicht ganz so komplex wie in anderen Spitzenjahrgängen? Oder kommt das noch, mit ein, zwei, drei Jahren Flaschenreife? Wahrscheinlich schon, denn mit mehr Luft wird er recht schnell weicher, runder und auch einen Hauch vielschichtiger, ohne deswegen an Druck zu verlieren. Jetzt schon wunderbar lang und eleganter als in den meisten Jahren. Hinten heraus aber ein ganz klein wenig bitter und alkoholisch, das bleibt auch mit Belüftung und das trübt den Gesamteindruck ein Stückchen. Auf jeden Fall noch recht jung, zugleich aber, typisch Aulerde, in dieser Jugendlichkeit schon deutlich weiter entwickelt und zugänglicher als die meisten Stallgefährten in der GG-Klasse. Sollte trotzdem noch ein Weilchen liegen und kann natürlich etliche Jahre reifen.
Bei aller dezenter Kritik im Detail ein Wein, der Frucht und Mineralität besser verbindet als fast alle anderen Rheinhessen. Wer brachiale Mineralität bis an die Schmerzgrenze heran braucht, sollte eher den Morstein tanken, wer pure Kraft sucht das Brunnenhäuschen (der 2009er notiert derzeit bei 95 Willipunkten) oder gleich die Kühling-Gillot Weine (Pettenthal 2009 notiert gar bei 97 Willipunkten). Die Aulerde ist dagegen etwas für die Harmoniesüchtigen, für die Softies unter den Harten. 89 von 100 Willipunkten.
Kommentare