Besuch bei Leoville Las Cases


Weh-Weh-Weh Willis Hausbesuche

Heute zu Gast auf Château Léowilli Las Cases

An der Bordeauxklassifikation von 1855 herumzumäkeln, gehört ja unter Bordeaux-Adepten fast zum guten Ton. Da gibt es Deuxième Crus wie Rausan-Gassies, die zuverlässig weit unter den Möglichkeiten ihres Terroirs arbeiten. Da sind Cinquième Crus wie Lynch-Bages, die ebenso zuverlässig deutlich bessere Weine auf die Flasche bringen als es das Classement verheißt. Und dann wundert man sich bei permanent auf hohem Niveau arbeitenden Gütern wie Sociando Mallet immer wieder, warum sie 1855 gar nicht ins Classement aufgenommen worden sind.

Aber wenn darüber diskutiert wird, welches Gut es am ehesten verdient hätte, aus der zweiten Reihe in den Olymp der Premiers Crus aufzusteigen, dann fällt fast immer der Name Leoville Las Cases an erster Stelle. Nun ist es mit der Weintrinkerei wie mit der Demoskopie – da gibt es die aktuelle politische Stimmung des Tages, und es gibt die langfristigen Grundüberzeugungen. Mit anderen Worten: Wer wirklich Erstligaambitionen anmelden will, muss mehr vorweisen können als ein, zwei Jahrgänge mit Hunderterwertungen des Advokaten aus Maryland. Nein, da sind mindestens fünfzig, sechzig Jahre Topleistung nachzuweisen.




Dementsprechend umfangreiche Bewerbungsunterlagen hatte Château Leoville Las Cases einer strengen Verkostungsjury eingereicht: 21 Jahrgänge aus den letzten 67 Jahren, darunter alle „Jahrhundertjahrgänge“ seit 1945: Und einige Weine aus kleineren Jahren. Denn die wahre Kunst besteht ja darin, auch in diesen von der Witterung nicht so begünstigten Jahren feine Tröpfchen zu erzeugen.


21 Flaschen aus 21 Jahrgängen standen also auf dem Tisch, harte Arbeit! Aber es ist ja allgemein bekannt, wie aufopferungsvoll der Weinigel sich einsetzt, wenn es um die Veritas im Vino geht. Mit neun fröhlichen Mitstreitern wurde verkostet, diskutiert, gepunktet und gestritten.

Zunächst über den Leoville Las Cases 1962. An sich kein Topjahrgang, aber auch kein ganz schlechter. In der Nase schon sehr fleischextraktwürzig, dazu Tabak, Asche, wirkt sehr alt und scheint deutlich über den Zenit zu sein. Medizinal, mit mehr Luft auch etwas pflaumig, lebkuchig, aber nicht wirklich intensiv, das waren mehr so Nebentöne, die sich gegen das ältlich-fleischwürzige nicht wirklich durchsetzen konnten. Am Gaumen eine kleine Überraschung, da wirkt der Wein noch deutlich jünger, minzig, frische Kräuter. Auch noch mit Fruchtsüße unterwegs und erfreulich samtig. Erst hinten heraus dann auch am Gaumen schon leicht müde. Im Abgang wirkt er eher gezehrt. Etwas Leder, Waldboden, fast eine Spur burgundisch. Mit mehr Luft wird er im Abgang noch nachdrücklicher aber nicht wirklich sehr viel schöner. Ich sehe ihn bei 83 von 100 Willipunkten.

Startnummer zwei trug der Leoville Las Cases 1964. Deutlich jünger in der Nase, auch noch mit teerig-asphaltigen Noten unterwegs. Dazu Reifetöne in Richtung medizinaler Kräuteraromatik, doch viel ausgewogenere Balance zwischen Mineralik, Restfrucht und Reifetönen als beim 1962er. Am Gaumen fast betörende Fruchtsüße im Anklang, dann pflaumig-teerige Noten, viel Würze. Gute Balance, sehr harmonisch, dabei eher leicht und elegant als ein Wuchtbrummer. Deswegen aber keineswegs kurz, das was er hat bringt er mit einer beachtlichen Länge an den Gaumen. Wunderbar charmant. Mit Luft verstärken sich die Süße und die Würze noch. Er baut hinten heraus aber schon leicht ab, der Abgang wird schnell schlanker wenngleich nicht kürzer. Ein gutes Beispiel dafür, was man auch aus mittleren Jahrgängen herausholen kann. 87 Willipunkte.

Weiter ging es mit dem Leoville Las Cases 1966. Der brachte die bisher mineralischste Duftfanfare in meine runde Igelnase. Der Duft versetzt geradezu in Verzückung, das ist eine unverkennbare Bordeauxnase, und zwar richtig fein gereift und perfekt auf dem Punkt. Der Schwerpunkt liegt auf dem Cabernet, Johannisbeeren und Paprika stehen sehr im Vordergrund, das alles wirkt noch sehr frisch. Mit mehr Luft wird die Nase immer fruchtbetonter und vielschichtiger, entwickelt sich im Glas noch sehr fein. Der Gaumen zeigt absolute Konsistenz mit der Nase – das Schwergewicht liegt auch hier auf dem Cabernet. Schöne rote Frucht und deutliche Paprika dominieren, nachdem zunächst im Anklang die Mineralik im Vordergrund stand. Kommt mit Luft noch deutlich, bleibt aber ein männlicher Wein, der den Merlot weitgehend verleugnet und vor allem vom Cabernet lebt. Dicht gewebt, viel Substanz, tolle Länge. Im Abgang ist auch noch eine Spur Tannin vorhanden, dieser Tropfen ist noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten. 88 Willipunkte.

Nun noch ein wirklich schwieriger Jahrgang, der 1967er Leoville Las Cases. Sehr kräutrige Nase, gereift, insofern mit viel Würze und Kräuteraromatik. Aber auch noch mit johannisbeeriger Frucht und einer Spur Mineralität unterwegs. Am Gaumen frischer als in der Nase, zunächst noch mit üppiger Mineralik, die mit Luft deutlich ermattet. Dann kommen bratensaftige Töne, ein wenig Frucht, ein leicht metallischer Ton. Im Abgang schnurrt er recht schnell zusammen, es bleibt dann eine leicht malzige, gar nicht unangenehme Altersnote. Wirkt deutlich jünger als der 1962er. Insgesamt für den sehr schwachen Jahrgang eine positive Überraschung. Wenngleich natürlich ein eher leichter Wein, der auch schon ziemlich am Ende seiner Lebensdauer angekommen ist. Aber das klingt jetzt vielleicht schon zu kritisch, sicher auch weil der Vergleich zu den großen Weinen, die noch kamen, im Nachhinein wieder einmal bestätigt hat, dass das Bessere der Feind des Guten ist. Trotzdem, der 1967er war mir noch immer 85 Willipunkte wert.

Es folgte der Leoville Las Cases 1970. Sehr schöne, würzige Nase, scheint vom Duft her voll auf dem Punkt zu sein. Tolle Mineralität, speckige Noten – und zwar die angenehme Variante von Speck, ohne die Räucherei, die ich nicht leiden kann. Teerige Elemente, dunkle Früchte, eine wunderbar üppige Vielfalt. Am Gaumen sehr feinkörnige, volle Tannine, die ihn wunderbar jung wirken lassen. Ungemein voll und dicht, eine Mineralik, die man fast kauen kann. Dunkle Früchte, richtig viel Stoff, satte kräutrige Würze, vielschichtig, fleischig, nur im Abgang gibt es leichte Abzüge, da verschlankt er sich in erstaunlicher Weise und es sticht eine etwas sehr kräftige Säure heraus. Die mit mehr Luft im Glas noch etwas stärker und noch etwas störender wird. Deswegen kommt dann am Ende die Neun ganz knapp nicht vor das Komma, sondern landet er bei 89 Willipunkten.

Dann nahmen wir uns wieder einen sehr kleinen Jahrgang vor, den 1973er Leoville Las Cases. Sehr feine Nase, wirkt noch etwas älter als der 1967er. Aber sehr würzig, fast auch ein wenig karamellig, süße Pflaume, eine Spur Unterholz, eigentlich ein Bilderbuchbeispiel eines sehr, sehr reifen Bordeaux. Am Gaumen erinnerte das ein wenig an den 1966er, weil auch hier der Cabernet sehr dominant im Vordergrund stand. Deutlich weniger charmant und balanciert als man es von der Nase her gedacht hätte. Leider ist auch ein ganz leichter Muffton dabei, der phasenweise ganz dezent an Kork erinnerte aber offenbar keiner war. Mit mehr Luft geht das auch weg, der Wein wird würziger, ein klein wenig rosinig und sherryartig, es schleichen sich ein paar Oxynoten ein. Die werden im Laufe der Zeit eher stärker als schwächer, es geht noch mehr auf den Sherry zu, oder sagen wir Vin Jaune. Angenehme Nussigkeit, das gefällt mir gar nicht so schlecht. Reife Tannine, ganz gute Länge, wenngleich er über den ganzen Bogen von der Nase bis zum Abgang ein wenig zerbrechlich wirkt. Man hat irgendwie immer die Sorge, er könnte in sich zusammenfallen. Aber genau das tut er nicht. 82 bis 83 Willipunkte.

Wir bleiben in den Siebzigern und machten uns an den 1975er Leoville Las Cases. Relativ opulente Nase, noch immer mit einem leichten Holzduft, wie lange war der wohl im Barrique? Dazu rote Früchte, etwas Teer, insgesamt eine erstaunlich volle und präsente, junge Nase. Am Gaumen samtig, mineralisch-teerige Noten, wirkt jung, ein echter Charmebolzen, weil er Frucht, Würze und Mineralik auf eine herrliche weiche Art und Weise vermählt. Aber das würde man blind niemals in die siebziger Jahre stecken, der Wein wirkt deutlich jünger. Sehr vielfältige Würze, weißer Pfeffer, ein Hauch konzentrierter Bratensaft, eine Spur Liebstöckel. Sehr gute Länge, dabei erstaunlich differenziert und tiefgründig. Ziemlich großer Wein, der das Potenzial des Jahrgangs gut ausschöpft. 90 bis 91 Willipunkte. Der erste Wein, dem ich sogar noch ein wenig Potenzial nach oben zubilligen würde.

Noch einmal ein schwieriger Jahrgang, Leoville Las Cases 1977. In der Nase noch recht fruchtbetont, Paprika, schwarze Johannisbeere, leider einige grüne, unreife Töne. Je länger er im Glas ist, desto deutlicher, um nicht zu sagen dramatischer wird der Grünton. Das riecht fast schon bitter. Am Gaumen überfährt einen entsprechend auch direkt die grüne Minna. Ganz im Anklang noch ein Haucherl Fruchtsüße, das bricht dann aber flott in sich zusammen, dann kommt grüne Paprika, wieder viel Cabernet, insgesamt der erste Jahrgang, der wirklich nicht zu überzeugen weiß. Mit Wohlwollen 80 bis 81 Willipunkte.

Als letzter Vertreter der siebziger Jahre stand nun der 78er Leoville Las Cases zur Probe an. Heftige Mineralität in der Nase, dazu ein toller Cocktail aus roten und schwarzen Früchten. Wird mit mehr Luft immer voller. Leicht tabakige Aromen treten hervor, die asphaltigen Töne werden kräftiger, eine immer üppiger werdende Mineralität kämpft mit der Frucht um die Lufthoheit im Riechkolben. Im Mund sagenhaft saftig, dicht, tief, pflaumige Frucht, mineralische Opulenz, ein Hauch Salbei, dazu viel Paprika, aber die rote, reife, nicht die grüne, unreife. Sehr schönes Spiel, hat viele Dimensionen, ungemein voll. Ganz am Ende des Abgangs kommt die Säure vielleicht einen Tick zu stark heraus, trotz der vollen, reifen Tannine wirkt dann plötzlich auch der Cabernet eine Spur rustikal. Aber das ist Jammern auf hochalpinem Niveau, es bleibt ein schöner, opulenter Wein. 92 Willipunkte.

Nun kam die berühmte Butter an den Fisch, es ging in die legendären Jahrhundertjahrgänge. Den Anfang in dieser Reihe machte der 1945er Leoville Las Cases. Großartige, ungemein junge Nase, gar nicht richtig aufzuschlüsseln. Da sind mineralische Töne, noch immer deutliche, atemberaubend frische Fruchtaromen, vor allem Pflaume, und tief unten drunter auch ein paar räuchrig-teerige Akzente. Ganz klare, unfassbar junge Nase, die aber vom Feuerwerk am Gaumen noch übertroffen wurde. Tolle Frische auch dort, dabei auch von großartiger Weichheit. Feine pflaumige Frucht, mineralische Noten in großer Fülle und Tiefe, Würze, Süße. Der hat fast alles, was man sich nur wünschen kann. Unglaublich jung, blind hätte man diesen Wein wahrscheinlich eher in die siebziger Jahre gesteckt als in den zweiten Weltkrieg. Tief und von einer Opulenz, wie man sie bei so alten Weinen selten erlebt. Samtig, elegant, zugleich so dicht, voll und kräftig, zum Niederknien. Solche Fülle und dabei so eine Eleganz! Phantastisch! Noch immer mit Tannin unterwegs, noch immer jung, noch immer frisch, ganz, ganz groß. 97 Willipunkte.


Auf dem Fuße folgte der 1959er Leoville Las Cases. Sehr würzige Nase, aber nicht antik, sondern recht lebendig. Wirkt eine Spur älter und reifer als der vierzehn Jahre ältere 1945er, mehr Bratensaft und Liebstöckel im Duft, dafür etwas weniger Frucht. Am Gaumen sehr süß, nein, keine Todessüße, keine Sorge, eher eine dezente Alterssüße. Dazu mächtige Würze, hier finden sich der Liebstöckel und der Bratensaft aus der Nase wieder. Sehr kräftig, da steht er dem 45er kaum nach, allerdings kommt das hier nicht so balanciert und fein, sondern ein klein wenig rustikaler daher. Dennoch – tolle Entwicklung, ein wunderbar gereifter, sehr voller, nachhaltiger Wein mit langem, differenziertem Abgang. Sein einziger Fehler ist der zuvor verkostete Wein. 93 Willipunkte.


Noch ein Legendenjahrgang kam nun mit dem 1961er Leoville Las Cases ins Glas. Schon wieder eine wunderbar harmonische Nase, die schön zwischen Cabernet und Merlot vermittelt. Klasse, was der an Fülle mitbringt, persistente, sehr feine Würze, eine Spur Erde und ein Haucherl Waldboden, wieder einmal ein etwas burgundischerer Duft. Recht weich auch am Gaumen, harmonisch, dicht, sehr fleischig. Und, ach, was wirkt der schon wieder jung! Am Gaumen noch deutlich frischer als man es von der Nase her vermutet hätte. Ein Ausbund an Mineralität. Opulent, tiefgründig, nicht ganz die Größe des 1945ers, aber mit einer Spur mehr Druck unterwegs als der 1959er. 94 Willipunkte.


Zeit, wieder einen kleinen Gang zurück zu schalten, es kam der 1981er Leoville Las Cases und damit wieder ein bestenfalls mittlerer Jahrgang auf den Tisch. Sehr verhaltene Nase, fast ein wenig schwächelnd. Eher kühle Frucht, zurückhaltende, sich fast verschämt ins Eckchen drängende Mineralik, Mensch, sei doch mutiger und zeig Dich! Mit etwas mehr Luft kommen interessante florale Töne dazu, ein schwerer Lilienduft, ein Hauch Rosenblätter. Am Gaumen erst einmal gar nicht so zurückhaltend. Voller Anklang, hellrote Früchte, etwas Würze und auch hier ein floraler Farbtupfer aus der Rosenecke. In der Mitte harmonisch aber etwas zu leichtfüßig, orange Frucht, kühl, schlank. Hinten heraus wird das noch etwas schlanker, da wirkt er etwas zu harmlos für einen Las Cases. Kommt mit Luft aber noch ein wenig und wird dann auch länger. 84 bis 85 Willipunkte.

Weiter mit den Achtzigern, wir nahmen uns den Leoville Las Cases 1983 zur Brust. Eine ganze Mineralitätsarie in der Nase, dicht, betörend, schon im Duft von unglaublicher Tiefe. Auch hier wieder eine leichte Anmutung von diesem Lilienduft, der schon beim 81er so bemerkenswert war. Dazu eine erste Spur von etwas reiferen Tönen, ein Anflug von reifer Kräuterwürze. Am Gaumen richtig viel Stoff. Samtig, weich, viel Kirsche. Satte Würze, die aber schwer zu definieren ist, weder wirklich kräutrig, noch voll auf der fleischsaftigen Seite. Sehr nachhaltig, riesig in seiner Harmonie und voller Charme. Bis tief in den Abgang hinein balanciert und druckvoll. Trotzdem kein ganz großer Wein, dafür fehlt es noch an Tiefe und Differenziertheit. Aber er wird sicher in den nächsten Jahren noch zulegen. Heute schon 89+ Willipunkte.

Als nächstes ging der 1988er Leoville Las Cases an den Start. Satte Nase, schmeichelnde Mineralität, da könnte man stundenlang nur schnüffeln. Wer schnüffelt noch Klebstoff, wo es doch den 88er Las Cases gibt? Auch Kräuter sind mit drin im Bukett, dazu Schwarzkirsche und Schlehe. Aber sie alle bleiben eher Randnotizen, der Wein steht und fällt mit seiner unglaublichen Mineralik. Am Gaumen ein dicker Schuss Fruchtsüße, wunderbar weiche Tannine, wer hätte bei diesem in der Jugend so strengen Jahrgang vor fünfzehn Jahren gedacht, dass die Tannine je so weich werden würden? Das lebt, das atmet, das hat viel Fülle und trocknet auch hinten heraus fast gar nicht mehr. Ein sehr guter Jahrgang, der viel zu unterschützt geblieben ist. Heute mindestens 91 Willipunkte, wird in den kommenden Jahren sicher noch einen oder zwei Punkte zulegen.

Als Bonustrack, als Überraschungsgast gönnten wir uns dann den 1992er. Eigentlich kein Jahrgang, von dem man sich viel erwarten dürfte. Doch hatte das Gut in diesem Jahr mit einem Konzentrator gearbeitet. Da wird man neugierig, wie dieses Experiment ausgegangen ist. Die Nase zeigt sich für den Jahrgang jedenfalls erstaunlich voll. Rote Frucht, riecht fast schon süß, so fett ist diese Frucht. Noch sehr holzdominiert, da spricht das Barrique lautstark zu meinen Rezeptoren. Auch am Gaumen viel, viel frisches Holz. Vorne, in der Mitte, bis hinten in den Abgang hinein, wo man dann fast schon auf dem Holz kauen kann. Wirkt zudem recht alkoholisch. Mit etwas Luft wird die Geschichte dann fast schon neuweltlich, vor allem im Abgang, wo ein wenig Eukalyptus ins Spiel kommt. Doch das Atmen tut ihm gut, mit noch etwas mehr Belüftung wird es wieder bordeauxiger, dann schlägt vor allem der Cabernet wieder mehr durch. Irgendwie hinterlässt mich dieser Wein etwas zwiespältig. Der Konzentrator hat ihn sicherlich zu einem untypischen 92er gemacht, ihm etwas an Bordeaux genommen, zumindest mal vorübergehend. Allerdings hat der Las Cases dabei auch eine Konzentration und Fülle bekommen, die man in diesem katastrophalen Jahrgang sonst nur schwerlich in die Flasche gebracht hätte. 87 Willipunkte.

Noch ein vermeintlich etwas kleinerer Jahrgang stand an, bevor wir wieder in die Jahrhundertjahrgänge packten – ein 1994er Leoville Las Cases. Schon wieder so eine großartige Nase, unfassbar mineralisch. Viiiel rote Frucht in großer Fülle, reichlich Teer, Asphalt, auch etwas Pflaume und auch hier wieder dieser florale, ein wenig an Lilien erinnernde Ton. Üppig, das ist eine Freude. Am Gaumen ebenfalls opulent, ein großer Erfolg für das bestenfalls mittlere Jahr. Sagenhafte Saftigkeit, brombeerig-pflaumige, tiefdunkle Frucht, knallharte Mineralität, eine Tiefe, die man in diesem Jahrgang nicht bei vielen Weinen finden wird. Noch immer sehr jung, dürfte noch zulegen. Heute schon 90 Willipunkte.

Zehn Stunden Karaffe hatte der 1982er Leoville Las Cases bekommen. Das dürfte ihm gut getan haben, denn die Nase wirkte selbst nach dieser Zeit noch verhalten. Man ahnte erst gar nicht, was für einen Riesenwein man da im Glas hatte. Ja, das riecht fast nach nichts, eine verhaltene Mineralik, eine Spur dunkle Frucht, alles ein wenig verschlossen und mit gebremstem Schaum. Am Gaumen dann aber ein Monument. Unglaublich dicht! Tiefe, Konzentration pur. Ein wuchtiger Tropfen voller Tannine, voller Holz, die Primärfrucht hat sich inzwischen verabschiedet, die sekundären Aromen stechen erst langsam an die Oberfläche durch. Aber welche Eleganz, welche Fülle hinter dieser Holzwand! Das verheißt eine legendäre Zukunft, vielleicht wird dieser Wein eines Tages sogar an den 45er heranreichen? Ich hoffe, ich werde so alt, dass ich das so gegen 2050 noch verifizieren darf. Derzeit schwer zu bepunkten, der dürfte aber in den nächsten Jahrzehnten auf knackige 97 Willipunkte gehen.

Auch den 1986er Leoville Las Cases hatten wir zehn Stunden in die Karaffe gepackt. Viel offenere, reifere Nase als der 82er. Sehr mineralisch, mit kräutrigen Einschlägen. Da ist luftgetrockneter Speck und viel rote Frucht. Bringt jetzt schon eine olfaktorische Power, die wesentlich deutlicher das sagenhafte Potenzial dieses Weines anklingen lässt als das beim 82er der Fall war. Am Gaumen allerdings noch viel verschlossener als in der Nase, da lässt er sich nicht in die Karten sehen. Der Alkohol beißt fast noch ein wenig. Und dann hat er – ganz jahrgangsgemäß – eine dicke Tanninbrechstange im Gepäck. Ein grandioser Wein, der eine fast schon gewalttätige Konzentration aufweist, noch mineralischer, noch ausgreifender als der 1982er. Bringt auch noch mehr Fruchtsüße mit. Tolles Gerüst, Tiefe, Dichte, Komplexität, da ist alles, was ein großer Wein braucht. Ich hoffe, nicht zu viel zu versprechen, wenn ich ihm ein Potenzial auf 98 Willipunkte zuschreibe. Muss 2050 noch einmal nachverkostet werden.

Es folgte der 1989er Leoville Las Cases, auch den hatten wir natürlich in die Karaffe gepackt, ebenfalls zehn Stunden. Ungemein kernige Nase, wieder so typisch Las Cases, viel Mineralik, üppige rote und dunkle Frucht, Himbeere, rote Johannisbeere, Pflaume – auch hier wieder abgerundet mit diesem feinen Lilienparfüm. Am Gaumen voll, geradezu umarmend, sehr kräftig, vor allem hinten heraus mit viel Fruchtsüße unterwegs. Aber auch mit einem gewissen Überschwang im Alkohol, der zwischendrin auch schon einmal ein klein wenig stechen kann. Tolle Fülle, phantastische Länge, ein irrsinnig tiefer Wein, so fein, so charmant, so lang. Toll, Deutlich trinkreifer als 82 und 86, das ist keine Überraschung, wobei auch dieser Wein natürlich noch nicht ganz auf seinem Zenit angekommen ist. Überraschend aber, wie konsequent er das Potenzial des Jahrgangs ausschöpft. Jetzt schon 95 Willipunkte – und da ist eventuell auch noch ein Pünktchen mehr drin.

Den krönenden Abschluss sollte der 1990er Leoville Las Cases bilden, von dem wir sogar eine Magnum aufgefahren hatten. Leider, leider, er korkte ein ganz klein wenig. Durch Plastikfolienbehandlung konnten wir das ein wenig lindern, aber ein wirklich vollständiges Bild vom Potenzial eines Weines bekommt man bei Korkern natürlich nicht. Was zu merken war: Ein gigantischer Wein, dreistöckige Mineralität am Gaumen, saftig, reich, tiefgründig, mit irre viel Druck unterwegs. Von einer Dichte, wie man sie nur alle Jubeljahre einmal ins Glas bekommt. Muss ich noch einmal aus einer korrekten Flasche nachverkosten. Dürfte aber unter den größten Weinen des Abends einzusortieren sein. Punkte auf jeden Fall in der oberen Hälfte der Neunziger.

Fazit: Fast alle kleineren Jahrgänge konnten überzeugen und in den großen Jahren kommt das Gut ausnahmslos in höchste Punktesphären. Leoville Las Cases wäre in der Tat ein würdiger Aufsteiger in die Liga der Premiers Crus. Ich würde mich sogar zu der Behauptung versteigen, dass Mouton Rothschild recht froh sein muss, dass es keine Relegationsspiele zwischen Spitzenreitern der Deuxiemes und schwächelnden Premiers gibt… Eine legendäre Probe, acht Stunden harte Arbeit. Aber hier gilt natürlich die Markwort-Doktrin: „Picheln, Picheln, Picheln und dabei immer an die Leser denken!“

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