Domaine de la Guilloterie, Saumur-Champigny Tradition 2009



Weh-Weh-Weh Willis Wein Werkstatt

Heute auf der Hebebühne: Domaine de la Guilloterie, Saumur-Champigny Tradition 2009

Manchmal geht es mir beim Weintrinken wie dem Opa in der Reklame für Werthers Echte. Für die, die diesen Spot nicht kennen, der geht so: Nach vielen Jahren futtert der Opa mal wieder so einen Plombenzieher und stellt fest – Mensch, das Zeug schmeckt noch immer so wie einst im Mai. Und schon ist er in seine Jugend zurückversetzt. Botschaft: Man muss nur Werthers Echte einwerfen und schon fühlt man sich prima. Die Karamellklumpen als Nostalgie-Ecstasy sozusagen.

So kann es einem ja mit allen möglichen Dingen gehen. Wichtig ist nur, dass die innere Sehnsucht gestillt wird, Dinge zu finden, denen Globalisierung, Industrialisierung und Leistungsdruck nichts anhaben konnten. Dinge, die noch so sind wie früher, und einem damit die Illusion schenken, dass man selbst vielleicht auch noch so jung und frisch ist wie früher. Augenblick verweile doch – und schenk mir Heimat!

Ein Stück dieser Heimat ist für mich der Rotwein von der Loire. Weil es der erste richtige Wein war, den ich selbst für mich entdeckt habe. Die ersten Besuche bei Winzern, der erste Anflug eines gewissen Verständnisses dafür, was Qualität ausmacht. Kurz: Der Wein, mit dem ich den Rubikon vom oenologisch eher beliebigen Wirkungstrinker hin zum Liebhaber überschritten habe.

Ausgerechnet mit Loirerotwein? Füllen die da nicht reinen Cabernet ab? Ganz ohne den Merlot, der in einen vernünftigen Bordeaux-Blend mit hinein gehörte? Doch, doch, das machen die glatt! Die gehen sogar noch einen Schritt weiter und beschränken sich auf Cabernet Franc. Der ja noch ein wenig ruppiger am Gaumen zu kratzen pflegt als der Cabernet Sauvignon, noch ein wenig paprikaesker – und hier reden wir von grüner Paprika, meine Damen und Herren, von roher grüner Paprika! Die ist scharf, die ist bitter, die ist aggressiv. Aus Cabernet Franc einen weichen, fruchtbetonten Wein zu keltern ist eigentlich nicht möglich.

Aber hier kommt Marcel Pagnol ins Spiel. Der stammte zwar nicht vor der Loire, stellte seinerzeit aber souverän fest: „Alle haben gewusst, dass es nicht möglich ist, bis ein Idiot daherkam, der nicht wusste, dass es nicht möglich ist, und es einfach gemacht hat.“ So geht das auch mit den Loirewinzern. Die wissen einfach nicht, dass man aus Cabernet Franc keine runden, süffigen, samtigen, fruchtbetonten Schmeichler herstellen kann – und tun es doch.

Wobei, lassen wir mal die Eglise imVillage – die treuherzige Versicherung, keinen Cabernet Sauvignon mit in den Bourgeuil, den Saumur oder den Saumur-Champigny hineinverschnitten zu haben, ist oft nicht glaubwürdiger als die Behauptung eines Politikers, seine Doktorarbeit selbst geschrieben zu haben. Mehr und mehr Cabernet Sauvignon-Reben stehen zwischen Tours und Angers, so ein klein wenig folgt man hier schon der Mode. Oenologisch sind die Loireroten insofern irgendwann recht bald vielleicht nur noch Werthers Halbechte. Aber wenns denn der Veritasfindung im Vino dient…

Genau so einen Schmeichler habe ich mir im letzten Loireurlaub gegönnt. Den Saumur-Champigny Tradition von der Domaine de la Guilloterie. Silbermedaille 2010 in Paris, Goldmedaille von mir als bester Saufwein des Urlaubs.

Wunderbar charmante rote Früchte in der Nase, etwas Himbeere, etwas Johannisbeere, das duftet nach Leckerwein, nach „unkompliziertem Genuss“, wie man das in der Werbung so schön nennt, wenn ein Wein nicht nach tiefschürfender Analyse verlangt, sondern einfach nur in großen Schlucken getrunken werden will.

Genau das will er, der Guilloterie. Kaum zu glauben, dass das ein Cabernet Franc sein soll. Saftig und wunderbar weich am Gaumen, auch hier die üppige rote Frucht, dazu ein wunderbarer Schmelz. Die kreidige Mineralik der Böden um Saumur scheint durch. Das lässt ihn fast schon zärtlich werden. Keine Paprika, nichts Grünes oder Grasiges, nur Samt und Seide im Glas. Leicht, ohne viel Druck oder Tiefgang, aber das in erstaunlicher Länge. Seine 13,5 Prozent Alkohol verheimlicht er glatt. Ich hätte ihm maximal 12 Prozent zugebilligt. Trollinger für Erwachsene? Oder Bordeaux für Einsteiger? Nein, weder noch. Einfach nur ein himbeeriger Wonneproppen von der Loire – wie es ihn nur dort gibt und wie es ihn dort schon vor vielen Jahren gab. Und mit 7,50 Euro im Preis-Leistungs-Verhältnis allen Mitbewerbern aus der Cabernetfamilie mindestens eine Depardieu-Nasenlänge voraus!

Auf der Flasche steht, man solle ihn über die kommenden fünf Jahre trinken. Keine Chance! Bei der besten Igelin von allen und mir war er schon nach zwei Stunden weg. Sehr lange im Keller liegen lassen würde ich ihn ohnehin nicht – so reif wie er jetzt schon ist, wird er nicht mehr besser werden.

Wo kriegt man so was? Im Supermarkt! Ja, richtig gelesen, im Supermarkt. „Wo hat denn der Weinigel seinen Snobismus gelassen?“ höre ich den Leser schon fragen. „Kauft der jetzt schon vom Massendreher?“ Nee, nee, keine Sorge, der Snobismus ist gut in Form und wird allabendlich sorgfältig eincremt, damit er sich noch lange hält. Aber der Leclerc-Supermarkt in Saumur verfügt über eine Weinabteilung, von der die meisten deutschen Fachgeschäfte nur träumen können. Exzellente Bordeaux, große Burgunder, fair bepreist übrigens, außerdem viele ausgezeichnete Winzerweine aus praktisch allen französischen AOCs. Gekrönt wird das Sortiment natürlich von einem sagenhaften Loiresortiment. Wobei es die Spitzenrotweine aus Saumur-Champigny (Clos Rougeard und ähnliche), für die man inzwischen ja auch schon bis zu 70 Euro hinlegen darf, auch noch aus vielen älteren Jahrgängen bis runter nach 1990 gibt.

Mein Guilloterie-Wein war der aktuelle „Coup de Coeur du Caviste“, der Wein der Woche sozusagen. Danke, lieber Caviste! 85 von 100 Willipunkten.

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