Willis Hausbesuche: Hochheim



Weh-Weh-Weh Willis Hausbesuche

Heute: Hochheim

Deutschland kann nix! Habe ich an dieser Stelle mehrfach festgestellt. Stimmt ja! Flughafen können wir nicht, Bahnhof auch nicht, Elbphilharmonie schon gar nicht. Aber Moooooment, Schluss mit der Miesmacherei, wir können immerhin Kreisverkehr! Glaubt Ihr jetzt nicht? Aber doch, das können wir. Deutschland kann Kreisverkehr wie nix anderes! Bei uns in Bonn, da wird jetzt einer angelegt, so was hat die Welt noch nicht gesehen. Die Baustelle dürfte vom Mond aus zu sehen sein. Mit nacktem Auge, angezogenem Auge und wahrscheinlich auch noch dem Hühnerauge. Und das wird nicht einfach ein Kreisverkehr, das Ding wird eine absolute Spitzenqualität haben. Denn da müssen Leute am Werk sein, die früher in dieser Jack Daniels Destille gewerkelt haben. Ja, genau in der, wo man sich gaaaanz viel Zeit nimmt. Denn so ein Whisky, der wird ja mit Reife immer besser. Das gilt wohl auch für einen Kreisverkehr. Vier bis sechs Jahre Bauzeit sind da gar nichts. Vielleicht werden es auch acht. Und Ampeln, Ampeln gibt es auch noch, an allen vier Zufahrten in diesen Kreisverkehr. Das wird ein richtiges Luxusding.

Äh, halt, stopp, Ampeln? AMPELN? Am Kreisverkehr???? Ist der nicht gerade dafür da, Ampeln zu ersetzen? Wozu habe ich den, wenn sowieso noch Ampeln aufgestellt werden? Egal, dem Kreisverkehr wohnt eine intrinsische Schönheit inne, den braucht es auf jeden Fall. Und die Ampeln brauchts dann erst recht, sagt der Stadtbaumeister, denn der Kreisverkehr hat nur 72 Meter Durchmesser und bei so geringem Durchmesser muss man den Kreisverkehr beampeln, damit der Verkehrsfluss nicht ins Stocken kommt. Beampeln! Allein schon das Wort!

Vielleicht sollte man den mal nach Frankreich schicken, den Stadtstaumeister? Denn, sehen wir den Tatsachen ins Gesicht, das gallische Hexagon kriegt zwar noch weniger auf die Reihe als unser marodes Gemeinwesen. Der fröhliche Sozialismus a la Hollande führt dort wohl über kurz oder lang dazu, dass das pleitebedrohte Land in Frank-arm umbenannt, oder in eine Misswirtschafts- und Währungsunion mit Spar-nie-n verklappt werden muss. Aber Kreisverkehr ohne Ampeln, das geht dort trotzdem. Das beweist uns der Franzacke jeden Tag aufs Neue. Da gibt es Kreisverkehre, die sind so klein, dass man von dort aus den Mond schon gar nicht mehr sehen kann. Gefühlt drei Zentimeter Durchmesser. Aber deswegen Ampeln aufstellen? Nee! Wenn in Frankreich jeder Kreisverkehr von weniger als 72 Metern Durchmesser beampelt werden müsste, dann hätten die ein straßenbaupolitisches Konjunkturprogramm, das den volkswirtschaftlichen Ochsenkarren schneller aus dem Dreck zöge, als die Firma Verleihnix faulen Atlantikfisch von Lutetia in die Bretagne liefern kann.













Das wissen die auch in Hochheim. Da gibt es gleich mehrere unbeampelte Kreisverkehre. Und auch eine Ampel ohne Kreisverkehr habe ich gesichtet. Vielleicht sollten wir denen unseren fortschrittlichen Stadtschlaumeister mal ausleihen. Gegen eine Ablösesumme von zehn, zwölf Millionen Euro. Damit könnten wir dann unsere Kreisverkehre wieder entampeln.

Aber so sehenswert die Hochheimer Kreisverkehre auch sein mögen, hingefahren bin ich aus anderen Gründen. Ich wollte mal wieder im Weingut Künstler nach dem Rechten schauen. Ein paar Alkoholika einkaufen, vielleicht auch für den Stadtblaumeister, im Suff kann ich dem vielleicht die Ampeln wieder ausreden.

Los gings mit den trockenen Ortsrieslingen und Lagenkabinetten. Fast komplett standen schon die 2012er an. Sehr gut hat mir vor allem der Rüdesheimer Riesling trocken gefallen, cremiger Anklang, mit viel zitrusfruchtiger warmer Frucht, dahinter knackige Säure, durchaus Tiefgang, das macht Spaß! An die 85 Punkte. Deutlich weniger harmonisch fand ich den Gutsriesling und den Hochheimer Herrenberg QbA, insgesamt trotz der üppigen Säure eher etwas schlichte Tropfen. Das gilt auch für den Liter, den ich zwischendrin spaßeshalber mal probierte. Alles so zwischen 80 und 81 Punkten. Natürlich darf ein Liter einfacher gestrickt sein, keine Frage. Aber der geht hier für stolze 8,50 Euro über den Tresen, der Herrenberg kratzt mit 9,90 Euro sogar schon an der Zweistelligkeit, dafür ist das dann doch zu wenig. Bei solchen Mindestlöhnen muss der Winzer auch leisten.

Na gut, weiter zu den Klassikern, den Kabinetten aus Kirchenstück und Hölle. Vielleicht machen die mehr Betrieb an den Rezeptoren. Ich fange immer mit dem Kirchenstück an, der ist meist etwas feiner, verspielter, eleganter. War er auch diesmal. Charmant, tänzelnd und leicht. Aber soooo leicht? Wenn ich aus 2012 noch nichts probiert gehabt hätte, na gut, dann wäre ich vielleicht zufrieden gewesen, denn ein recht typisches Kirchenstück war das schon, Nur halt typisch für einen eher kleinen Jahrgang. Und was ich von anderen Erzeugern aus 2012 kannte, schmeckte nach einem großen bis sehr großen Jahrgang. Da muss doch auch bei Künstler mehr gehen? Schnell den Gewürzprüfer in den Höllenkabinett gestopft und da mal nach dem Rechten riechen. Hmm, ja, das hat mehr Druck, auch am Gaumen, schöne Balance, lagentypisch, knackige Säure, erstaunlich harmonisch sogar schon. Aaaaber, auch hier fehlte mir der letzte Biss, die Tiefe, die ich sonst auch im Kabinett schon finde. In so Jahren wie 2001, 2007 oder 2009 zum Beispiel waren die Höllen-Kabinette schon richtig starke Weine. In der Form nur 84 Punkte für das Kirchenstück und knapp 86 für die Hölle. Vor allem die Länge fehlte mir. Irgendwie hat da der Stadtbraumeister mitten im Abgang ein Stoppschild aufgestellt.

Überraschender Sieger der Kabinett-Abteilung war dann der Rüdesheimer Berg Roseneck. Kräutriger Duft, tolle Frucht am Gaumen, schöne Balance, mineralische Fülle, gute Länge, recht tiefgründig. 87+ Punkte.

Weiter zu den großen trockenen Lagenrieslingen! Aus 2012 wurde erst einmal der Stielweg alte Reben aufgefahren. Normalerweise immer mein Favorit unterhalb der ersten Gewächse. Diesmal kräutrig, etwas sanddornig, wenig Frucht, ziemlich zurückhaltend, vielleicht noch etwas jung, kann noch kommen, macht im Moment aber noch nicht wirklich so viel Spaß wie etwa seinerzeit der grandiose 2009er. Immerhin 88 Punkte.

Klar besser dann die 2012er Domdechaney, ungemein saftig, opulent, herrliches Spiel von Süße und Säure, der Wein setzt der kräftigen Säure des Jahrgangs einen ebenso kräftigen Extrakt entgegen, das gibt richtig Gas bis tief in den Abgang. Glatte 90! Davon wanderte ein Kistchen in den Kofferraum.

Reizvoll dann schließlich der Vergleich von vier Jahrgängen Hölle Erstes Gewächs, 2008 bis 2011. Eins muss man den Künstlern lassen, jeder diese Weine bringt die jeweilige Jahrgangsstilistik ganz klar zum Ausdruck. Der mittelprächtige Jahrgang 2008, schon ein wenig karamellig werdend, etwas tropenfruchtig in der Kopfnote, eher schlank im Abgang, das aber durchaus nachdrücklich. 2009 dann strahlend schön, wunderbar auf dem Punkt, viel Stoff, tief, perfekte Balance, wuchtig und dennoch stimmig und geradeaus. 2010 sehr säurelastig, bissiger grüner Apfel, wenig Charme, der Restzucker geht völlig unter, das wirkt borderline-Grün und wäre blind fast mit einem Sauvignon zu verwechseln. 2011 dann mit vielleicht einem Gramm Säure zu wenig, etwas sehr fein, sehr weich wirkend, aber dennoch wunderbar lang und im Abgang dann endlich auch druckvoller. Darf man im Vergleich zu den ganz frischen Säureprotzen aus 2012 nicht vorschnell abtun, der Wein kann etwas. Mein Sieger dieser Vertikale der 2009er mit 92 Punkten. 90 Punkte für den 2011er, 87 Punkte für den 2008er und nur 84 Punkte für den 2010er.

Damit hätte man es jetzt bewenden lassen können, das war ja schon sattsame Verkostungsarbeit. Aber auf einem Wein kann man nicht stehen, wer wüsste das, wenn nicht der Weinigel? Und nur einen kleinen Hinkelsteinwurf entfernt steht ja das Anwesen des Domdechanten Werner. Die eifrigen Leser dieser Kolumne werden sich erinnern, dass ich dessen Kabinett aus 2010 und ein Kirchstück aus 2009 mal lauthals gelobt habe. Der Weinigel ist zwar mindestens so unfehlbar wie der Papst, neben mangelndem Selbstbewusstsein ist das meine zweite große Schwäche, dennoch probiere ich gerne mal nach, ob die Dinge sich wirklich so entwickelt haben, wie ich es mir erwartet hatte. Also schnell ein paar Runden durch die Hochheimer Kreisverkehre gedreht und auf zu den Rieslingen des Domdechanten!

Das erste Ausrufezeichen setzte dort der 2012er Riesling trocken aus der Domdechaney. Wie so oft ein Langsamstarter, beim ersten Reinschmecker sucht man erst einmal die Substanz. Die kommt dann hinten heraus und zwar gewaltig. Und nach einer Minute im Glas kommt der auch vorne deutlich stärker, wird immer tiefer und komplexer, mit immer längerem Nachhall. Ganz klar, schön mineralisch im Vordergrund und mit viel Frucht und Schmelz im Abgang. Ganz hinten wird er dann wunderbar würzig und zeigt, was er drauf hat. Wird sicher noch ein paar Jahre weiter zulegen. 88 Punkte! Großartig – zumal das ja die „kleine“ Domdechaney des Domdechanten ist, anders als Künstler baut er ja noch ein Erstes Gewächs drüber. Auf das darf man wirklich gespannt sein, ich ahne, dass das im Herbst richtig gigantisch werden könnte.

Und genau wie bei Künstler gab es dann auch die Ersten Gewächse aus den Jahren 2008 bis 2011 zu probieren. Allerdings nicht aus der Hölle, die baut der Dechant nicht als Erstes Gewächs aus, sondern aus dem Kirchenstück und aus der Domdechaney. Und auch hier ließen sich die Jahrgänge wunderbar erkennen. Als erstes der 2008er mit seiner mittelgewichtigen Art, eher elegant, tropenfruchtig, mit ersten Reifenoten im Gepäck. Wenn ich mich doch dann nur irgendwie entscheiden könnte, ob mir das Kirchenstück oder die Domdechaney besser gefällt. Die Lagenunterschiede zeigen sich ganz deutlich, das feinere, elegantere, fruchtbetontere Kirchenstück, mehr vorne, schneller an den Rezeptoren, schmeichelnd, verführerisch. Die Domdechaney dagegen männlicher, würziger, vor allem im Anklang nicht so zugänglich, dafür hinten mit einem ganzen Packen Druck und Dampf unter der Ramme. Der 2008er ist nicht so ganz mein Jahrgang, die Domdechaney steht mit 86 Punkten eine ganz kleine Stufe über dem Kirchenstück mit seinen 85 Punkten. Beide knapp hinter Künstlers Hölle.

Dann kam der 2009er und es passierte das, was mir schon auf der Autobahn auf der Herfahrt passiert war. Mit gemäßigter Reisegeschwindigkeit von rund 220 km/h ließ ich gerade die A 3 unter mir vorbeirauschen, als mir ein grauer Fleck auf meinem Rückspiegel auffiel. Ich hatte den Gedanken, dass der Haushofmeister bei der Autopflege wieder einmal nachlässig gearbeitet habe, noch nicht ganz richtig zuende gedacht, da war aus dem Fleck, der offenbar doch keiner war, schon eine rückspiegelfüllende Veranstaltung geworden. Ein Mercedes SLS. Ich fuhr auf den mittleren Streifen, es fauchte einmal kurz auf und das graue Geschoss beschleunigte links an mir vorbei in einer halben Sekunde auf gefühlte 300 Stundenkilometer. Was meine bayerische Hochtechnologie zum winzigen blauen Fleck im Rückspiegel des SLS gemacht haben dürfte. Ja, und so ging es jetzt auch dem 2008er, der zum vagen Schemen im Rückspiegel wurde, sobald der 2009er ins Glas kam. Erst das Kirchenstück mit fast schon botrytischer Süße, fruchtbetont, charmant, sofort voll präsent, druckvoll, viel Saft, herrlich harmonisch, was für ein Gerät! Dann die Domdechaney, und auch hier kamen die Lagentypizitäten wieder wunderbar heraus, mineralisch, brutal hart gefedert im Anklang, tiefergelegt im Abgang, der bleibt ewig und schaltet hinten heraus den Turbo zu, das wird noch etliche Jahre weiter zulegen.

Und welchen soll ich jetzt kaufen? Kirchenstück oder Domdechaney? Die Eleganz, die Feinheit, die Frucht oder die Würze, die Kraft, den Tiefgang? Die Harmonie, das Verspielte oder das Männliche, Brachiale? Ich habe noch mal hin und her probiert, und festgestellt, dass ich mich im Kreisverkehr drehte, beampelt oder nicht. Also von jedem ein Kistchen in den Kofferraum und gleichberechtigt 93 Punkte für den einen wie den anderen. Im direkten Duell mit Künstlers Hölle aus 2009 Punktsieg an die beiden Weine des Dechanten, die zudem, das sei empfehlend angemerkt, 5 bzw. 10 Euro günstiger zu erstehen sind. Die beiden besten Weine des Tages.

Es folgte der Jahrgang 2010. Hier gefiel mir die Domdechaney deutlich besser als das Kirchenstück – weil der männlichere Stil mit der hohen Säure besser klarkommt. Viel Extrakt, dicht, athletisch, dennoch auch hier eine Spur zu viel Säure. 87 Punkte. Das Kirchenstück wirkte weniger rund, vielleicht gibt sich das mit etwas Lagerung noch ein wenig, derzeit so an die 85 Punkte. Vielleicht bin ich zu streng? Ist einfach nicht mein Jahrgang. Auf jeden Fall klarer Sieg über Künstlers Hölle.

Schließlich noch 2011 – cremig, verspielt und elegant das Kirchenstück, noch nicht ganz auf seinem Optimum angekommen, wirkt durch die deutlich niedrigere Säure gegenüber dem 2009er und dem 2010er im Anklang weniger komplex, kommt aber hinten heraus sehr schön und entwickelt deutlich mehr Druck. Braucht Zeit, im Moment so an die 88 Punkte. Die Domdechaney setzt noch einen drauf, deutlich mehr Substanz und Tiefe, insbesondere im Abgang, dafür auch in diesem Jahrgang vorne nicht ganz so charmant und opulent wirkend. 89 bis 90 Punkte, praktisch Gleichstand mit Künstlers Hölle in diesem Jahrgang.

Und dann hatte der Domdechant noch eine feine restsüße Auslese an Bord, auch aus der Domdechaney, Jahrgang 2009. Pikant, cremig, tolle Reife, tiefgründig und wunderbar harmonisches Spiel von Süße und Säure. 92 Punkte. Das sticht die süßen Künstler, über die auch in diesem Jahr einmal mehr nur der Mantel des höflichen Schweigens gebreitet werden kann, lässig aus.

Fazit: Der Platzhirsch Künstler muss schwer aufpassen, wenn es ihm mit dem Domdechanten nicht so gehen will, wie mir mit dem Mercedes SLS. Da wächst im Ort eine Konkurrenz heran, die hoffentlich das Geschäft beleben wird. Die Ausweitung der Lagenpalette auf immer mehr Rüdesheimer Parzellen, immer mehr Rot- und Süßweine hat den Künstlers offenbar nicht besonders gut getan. Die Spitzenqualität der trockenen Höllen und Kirchenstücke der neunziger Jahre (1993, 1998 und 1999) erreicht das Gut nur noch selten. Domdechant Werner hingegen setzt unter Catharina Mauritz seinen Aufwärtstrend ganz offensichtlich fort und das in aller entspannter Bescheidenheit und ohne großes Trara. Oder, um im Bild der Einleitung zu bleiben: Künstler baut immer mehr Ampeln in seinen immer luxuriöseren Kreisverkehr und vergisst dabei ein wenig das Autofahren, während der Domdechant einfach nur den Blinker setzt und vorbeizieht.

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