Weh-Geh-Weh Willis Gastro Werkstatt Heute: Vierschänkentournee Teil 40: Gästehaus Klaus Erfort, Saarbrücken




In der letzten Folge habe ich ein wenig unwirsch darüber berichtet, wie das Histoires in Paris mit mir Hase und Igel zu spielen und das Menü im Sprint zu servieren versucht hat. Das Gegenteil habe ich auch schon erlebt. Im Saarland. Bei Klaus Erfort. Nun gilt der Saarländer nicht gerade als übertrieben spritzig. Der Name der Ministerpräsidentin erinnert mehr an eine Kurzgeschichte. Heinz Beckers Programm besteht fast nur aus Kunstpausen. Und Erich Honecker hat aus dem Saarland eine Arbeitsmoral ins Arbeiter- und Bauernparadies der Ostzone exportiert, bei der man zur Sicherheit mal nicht in Tagespensen, sondern in Fünfjahreszeiträumen plante. Ganz so lange dauerte das Einnehmen des Menüs im Gästehaus Anno 2010 wohl nicht, doch waren die beste Igelin von allen und ich um 19 Uhr eingetroffen, gegen 22 Uhr dann auch schon mit den Amuses durch und kurz vor 2:00 Uhr bei den Mignardises angelangt. Obwohl ich den Maitre mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass noch eine zweistündige Heimfahrt zum Igelbau anstünde und wir vielleicht nicht bis zum Morgengrauen auszuharren gedachten. Gegen 1:00 Uhr passierte das, was vorher noch nie passiert war. Die beste Igelin von allen fiel völlig unfahrplanmäßig in eine Art Winterschlaf. Im Juni. Am Tisch. Kinn auf die Tischkante, rumms, leichte Schnarchgeräusch stiegen auf, die Augenlider waren auch mit Streichhölzern nicht mehr in geöffneter Stellung zu fixieren. Ich hatte den Kellner daraufhin um Kissen und Decke für die Madame gebeten. Um mit zarter Ironie auf das, na sagen wir mal saarländische Tempo der Küche aufmerksam zu machen. Er nahm das ernst und war völlig von den nicht gerade qualmenden Sochen, dass er diesen Wunsch nicht erfüllen konnte. Er könne ja nebenan im Hotel nachfragen. Ja, oder einfach das Dessert bringen…

Nun ja, diese eigentümliche Geschichte hatte mich einige Jahre vom Gästehaus ferngehalten. Obwohl gastronomisch beschlagene Menschen mir einen neuerlichen Besuch immer wieder anempfahlen, die Qualität der Speisen rühmten und über angestiegenes Serviertempo referierten. Zum Beispiel die Moni. Aber die arbeitet für die Bundesagentur für Arbeit. Für die fällt unter hohes Tempo eventuell schon eine Serviergeschwindigkeit, bei der man dem Kellner die Schuhe beim Gehen nicht besohlen kann.

Doch dann lernte ich beim „Patissier des Jahres“ Matthias Spurk kennen. Der amtiert seit 2014 als Patissier des Hauses. Er versicherte glaubwürdig, das Serviergebaren habe sich
beschleunigt, ich könne also ruhig mal wieder einen Besuch in Saarbrücken wagen. Was schon deswegen angezeigt erschien, weil ich ja gerne mal wissen möchte, wie das Essen dort eigentlich so ist. Denn aus 2010 war irgendwie nur das Schneckentempo des Service in Erinnerung geblieben. Also auf zu alten Ufern, ab an die Saar, wobei die beste Igelin von allen dem Frieden nicht ganz zu trauen schien. Zur Sicherheit führte sie ein Kissen in der Handtasche mit sich.

Nicht nötig, diesmal stimmte das Timing, soviel kann ich vorwegnehmen. Der Name „Gästehaus“ steht natürlich für Understatement. Klingt simpel, bezeichnet aber eine schmucke Villa im Zentrum von Saarbrücken, leicht bauhausig angehaucht, fast in würfelform, in edlem Weiß gehalten und mit reichlich Stil eingerichtet. Viel rechte Winkel auch drinnen, dunkelgraue Wände, hellgraue Vorhänge, Parkett, sparsame Dekoration, passend zur Jahreszeit steht ein Christstern auf dem Tisch, sonst nicht viel.



Der Blick in die Weinkarte macht Freude, die Koeffizienten sind fair, selbst bei Schampus und Bordeaux. Ein Gläschen Bereche et Fils gibt es für 18 Euro, das Kirchspiel 2009 von Klaus-Peter Keller, das muss so ein recht begabter Nachwuchswinzer sein, den der Sommelier sehr empfahl, lag bei 115 Euro. Na gut, das wurde bestellt, damit hatten wir die Sache mit der Sauferei schon mal aus dem Kopf und konnten uns auf die Amuses konzentrieren.


Als erstes kam eine Rote Bete-Sphäre auf Graubrotchip mit Saiblingskaviar. Hach, da geht der Igel in die Knie, auch weil Kniebeugen ja den Kreislauf in Gang halten und ich noch nicht wusste, wie lang der Abend werden würde. Rote Bete ist ja dankbar, da kommen immer ein paar fruchtige und ein paar leicht erdige Elemente rüber, das kann man mit fast allem kombinieren, Fisch, Fleisch, süß, salzig, sauer. Hier schüttelt die Knolle den Saiblingseiern liebevoll das Händchen, zumal die so perfekt dosiert sind, dass ein perfektes Gleichgewicht entsteht. Der drunterliegende Graubrotchip bringt noch etwas Abwechslung in die Textur und steuert einen Röstton bei. Höchstpunktzahl, besser kann man das nicht machen!






Es folgte Rindstatar. Na gut, das ist tautologisch. Hier wäre jetzt Zeit für den großen Igelmonolog über die inflationäre Verwendung des Suffixes -tatar an allen möglichen Lebensmitteln, nur weil diese durch den Wolf gedreht worden sind. Mit einem Exkurs in die Welt der -carpaccio-Suffixe. Aber, das ist der Transferteil, lieber Leser, den musst Du Dir diesmal selbst zusammenreimen, diese kleine Andeutung wird Dir schon andeuten, wohin mein Hase läuft (und dass er am Ziel von einem Igel mit den Worten „bin schon da“ empfangen werden wird). Also, mit anderen Worten, es handelte sich um einen der seltenen Ausnahmefälle, bei denen das Tatar tatsächlich noch vom Rind stammte. Mit etwas Meerettich getuned und in einem sehr knusprigen Cornet serviert, also so einer Art Brandteighörnchen. Fein dosierter Rettich, der lässt dem Fleischgeschmack noch Luft zum atmen. Obenauf noch ein winziges Kräuterspitzchen, auch das gerade so, dass man noch ein Haucherl davon organoleptisch mitnahm, ohne dass es dominierte. Sehr gelungen, auch wenn diesmal der Kniefall ausbleibt.


Die Kniebeuge gab es dann aber wieder für das Rote Bete-Macaron mit Stopfleber. Hatte ich erwähnt, dass man die Bete mit fast allem kombinieren kann? In diesem Fall brachte sie einen feinen zusätzlichen Fruchtakzent an die sehr intensive Leber. Soweit noch keine ganz große Kunst. Die Süße im Macaron aber so zu dosieren, dass das Mandelgebäck der Säure und würze der Leber noch Luft zum Atmen lässt und gleichzeitig trotzdem diesen leichten mandelig-süßen Akzent draufpackt, das ist schon höhere Schule. Eine Köstlichkeit!


Deutlich weniger beeindruckt hat mich der Blutwurstflammkuchen. So richtig viel kann man aus der Kombination vielleicht nicht herausholen, der rustikalen Blutwurst ist Sternefinesse eher fremd und der leckere kleine Flammkuchen, auf dem sie angerichtet war, kann daran auch nicht viel ändern. Mundete aber passabel.

Nebendran eine Raubkopie! Auster mit Minze und Holunder. Hmm, das gibt es doch seit Jahren im Sonnora?! Jawoll, genau die Kombination, mit der der unvergessene Herr Thieltges mir in den letzten Jahren immer behilflich war, meine Abneigung gegen Austern zu überwinden, wurde hier nachgebaut. Allerdings nicht ganz so perfekt. Dennoch natürlich ein feiner Happen


Nächster Akt aus der Amuses-Abteilung: Gurkenvariationen mit Tunfischtatar (ich sage jetzt mal nix…), Apfeleis und Koriander. Oh, da leuchten die Igelaugen! Gurke in unterschiedlichen Texturen, Creme, Saft und Stückchen, grandios der Koriander dazu, obenauf ein knuspriger Cracker mit Körnern und darauf einem Klecks Eis vom grünen Apfel. Gurke und Apfel verbinden sich bestens und auch der Klecks feingehackten Tunfisch verbindet sich zu meiner Überraschung nicht nur mit dem Gemüse, sondern macht auch dem Apfel so lange Avancen, bis der den Fisch unterhakt und mit ihm einträchtig über die Papillen marschiert. Wenn man überhaupt etwas kritisieren kann, dann vielleicht das eine, kleine Körnchen zuviel Zucker am Apfeleis, ansonsten wieder eine Komposition hart an der Perfektion.


Auf dem Niveau hätte es weitergehen dürfen. Aber das Menü verhieß als ersten echten Gang ein Millefeuille von Gänseleber und Jakobsmuscheln. Oha! Daran sind schon andere gescheitert. Zum Beispiel Herr Klein in seinen goldenen Zeiten im Arnsbourg. Er hat wahrscheinlich das Maximum an Harmonie aus dieser etwas anderen Form des Surf and Turf herausgeholt, ein Schachbrett aus Jakobsmuschelsushi und Gänseleberparfait kreiert, das mit großem Genuss zu essen war. Aber trotzdem hatte ich immer das Gefühl, dass mir Leber und Coquilles getrennt mehr Spaß gemacht hätten. So war es auch bei Erfort. Obenauf eine Scheibe Rettich mit etwas Würzklee, dann eine Schicht Muscheln, dann nochmal Rettich, dann Leber, dann kommt ein Hauch Miso, dazu etwas schwarzer Sesam und ein paar Pinienkerne. Der Rettich bringt einen Hauch Schärfe und eine interessante Knackigkeit ins Spiel, eine Brücke zwischen Meer und Land baut er allerdings nicht. Das schafft schon eher der Sesam und ein wenig auch die Miso. Insgesamt ergibt sich damit ein Geschmacksbild, in dem die Muscheln die Aromen der Leber zwar verändern, selbst aber kaum wahrnehmbar sind, man hat eher das Gefühl eine Leber mit Miso, Sesam und etwas Rettich zu essen. Wahrlich nicht schlecht, wieder muss ich aber zugeben, dass ich die sagenhaft gute Leber lieber isoliert vertilgt hätte.

Nächster Akt: Pilztarte mit Trüffeldach, Auberginenpüree und ein wenig Iberico. Das Ding riecht superb, trüffelig, waldpilzig, ungemein intensiv. Am Gaumen nimmt man Trüffel wie Pilze aber eher nur verhalten wahr. Beides verbindet sich auch nicht wirklich gut. Der Iberico mit seiner Salzigkeit reißts raus, hebt Waldpilze und Trüffel hervor, verbindet sie auch ein wenig. Das Problem: Es ist nur Iberico für zwei Bissen vorhanden, der Teller beinhaltet aber selbst für so ein Großmaul wie den Igel mindestens acht Bissen. Hmm, da ist Luft nach oben.


Das gilt leider auch für die Tranche vom Steinbutt mit Artischockenvariationen und Datteltomaten. Perfekt gegarter, wunderbarer Butt mit einer Sauce, die mich stark an Beurre Blanc erinnert, doch ein wenig säuerlicher daherkommt. Fast einen Stich zu säuerlich. Die Artischocken gelten ja von Haus aus nicht als Intensivtäter, bleiben entsprechend dezent, dafür hauen die Tomaten auf die große Pauke und schieben den Fisch ein Stückchen in den Hintergrund. Das ist gut, wäre mir auch zwei Sterne wert, schafft den Sprung ganz in den Olymp aber nicht.


Grandios dafür wieder das Enten-Dim Sum mit Lauch und Petersilienwurzel. Viel Ente im Teig, dazu perfekt gegartes Wurzelgemüse. Eine reichliche Portion Entenjus verhindert, dass das passiert, was bei Dim Sum eher die Regel als die Ausnahme ist – dass man nämlich im Wesentlichen den Geschmack des Teiges genießen darf. Hier habe ich vollen Entengeschmack am Gaumen, der Entensaft bringt zudem eine prima Bindung zum Gemüse und die krosse Entenhaut, die dazu gereicht wird, gibt eine zusätzliche Prise Salzigkeit und eine weitere Texturdimension. Köstlich!


Noch zwei Gewichtsklassen höher boxt das Reh mit Totentrompeten, Selleriecreme, Spitzkohl und Cassis, das nun auf den Tisch marschiert. Ein phantastisches Reh, perfekt auf den Punkt gebraten, mit einem Deckchen von wunderbar fruchtigem, leicht gelatinierten Cassisgelee zugedeckt. Unter dem Deckchen kuschelt sich noch eine Schicht Spitzkohl ans Wild, dazu gibt es ein extrem intensives Selleriepüree und obenauf die wunderbar aromatischen Totentrompeten. Alles passt perfekt zueinander und das Mampfvergnügen steigt exponentiell, wenn man es schafft, ein wenig von allen Bestandteilen zugleich an den Gaumen zu schaufeln. Der dazu empfohlene glasweise Rote schießt komplett den Vogel ab, das passt wie Samt und Seide.

Als Käsegang kommt wieder eine dieser Kniefallgeschichten, Schaum von Fourme d´Ambert mit Williamsbirne, Crackern und Würzklee. Toller Käse, recht reif, da tut es ihm ganz gut, dass ein Teil als Schaum serviert wird, das zähmt ihn ein Stückchen. Die Birne, ohnehin ein bewährter Ergänzungspfleger für Käse mit Pflegestufe 2, geleitet die Fourme liebevoll zum Klee und zu ein paar Nüssen, die sich unter dem Cracker versteckt hatten. Hier stimmt alles, Geschmack, kompositorische Harmonie, Textur. Und auch der glasweise dazu empfohlene Wein, ein Muscat Beaumes de Venise. Weltklasse!

Zeit für die Desserts! Den Auftakt macht Kokosschaum und -panacotta mit Passionsfruchtsaft, Gewürzmango und allerlei Crumble. Großes Kino, toller Akkord von Kokos, exotischer Frucht und den wunderbar knusprig-würzigen Kekselementen. Wieder eine Kniebeuge, langsam artet die Verneigerei in Sport aus. (leider kein Bild)

Wir bleiben auf diesem Niveau. Mit Kürbiskernölparfait mit Butternut-Kürbiseis, Glühwein, Petersilienwurzel und Kürbiskernen. Hier passt wieder alles perfekt zueinander. Der in einer „Sphäre“ servierte Glühwein umschmeichelt das Kürbiseis, das Crumble bringt Knusprigkeit hinzu, man taucht durch eine Schicht Kürbisaromen nach der anderen und kriegt zwischendrin immer wieder Frucht und Alkohol des Glühweins dazwischengeschenkt. Der dazu empfohlene Dönnhof-Gewürztraminer ist die perfekte Ergänzung eines Weltklassedesserts!


Natürlich lässt sich die Patisserie bei den Mignardises auch nicht lumpen, Herr Spurr bringt ein wunderbares Cassistörtchen an den Start, das intensivste Fruchtaromen mit ein paar Mandelsplittern und knackigem Tortenbodenkeks kombiniert. Superb!


Mein besonderer Liebling sind die Passionsfruchtmacarons mit Sesam. Eine hochinteressante und ziemlich originelle Kombination, die Sesamwürze gibt der mandelig eingebetteten Frucht einen satten Kick und macht das Aroma um zwei Dimensionen komplexer. Wieder ein Volltreffer!



Geleefrüchte sind jetzt nichts, was man in den absoluten Gastroolymp erheben kann. Oder, falls es doch geht, habe ich die wenigen Belegstücke bislang noch nicht zu futtern bekommen. Hier bleiben wir mit den Geleevierecken im Leitmotiv Passionsfrucht. Sie munden vorzüglich, bleiben aber wie erwartet ein wenig hinter den Wunderdingen zurück, die davor serviert worden waren. Gilt auch für die Marshmellows nebenan.



So ein wenig gilt das auch für die Himbeerschiffchen mit Vanillecreme. Aber ich liebe das Zeug einfach und hier kommt es in Bestform auf den Tisch. Also kein Grund zu Klage, sondern einer zur Freude!


Sehr fein und ganz in der Tradition der französischen Klassik schließlich die Canellés und die Madeleines, die als nächstes aus der Patisserie kommen. Großartig!


Und zum Abschluss noch ein feines Windbeutelchen mit Tonkabohnen. Nicht sonderlich intensiv, aber sehr fein.

Ein wunderbares Menü, bei dem aus meiner Sicht die Patisserie noch ein Stückchen eindrucksvoller und konstanter war als die Küche. Hochverdiente drei Igel-Sterne aber für beide Küchenteile! Und: Die beste Igelin von allen und ich waren tatsächlich kurz vor Mitternacht mit dem großen Reigen durch. Perfektes Timing! Ein besonderes Lob an den Sommelier, der uns mit hervorragenden Glasweinen bestens durch die zweite Hälfte des Abends geleitet hat, nachdem die Keller-Flasche aus rätselhaften Gründen sehr schnell sehr leer geworden war. Ist halt ein Nachwuchswinzer, der lernt noch, wie man die Flaschen richtig vollmacht.

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