Weh-Weh-Weh Willis Wein Werkstatt Heute auf der Hebebühne: Rosé Champagner





Das Flüchtlingsthema ist in aller Munde. Aber was bedeutet das für uns Weintrinker? Gewähren wir Asyl für flüchtige Säure? Wird Begrüßungsgeldermann im Erstsaufnahmegelager ausgeschenkt? Gibt es noch Kirchenasyl im Forster Jesuitengarten (wir Pfaffen das!), während in Sachsen, Österreich und Ungarn schon der braune Bruch durch die Gesellschaften geht? Ist der Weinexport aus den sicheren Drittstaatsgütern in Weinsberg, Meersburg und Eltwilli endgültig unterbunden? Und was genau ist diese Balkan-Rute? Darunter hatte ich bisher nur den ruppigen Abgang der tanninüberladenen Vranac-Weine Montenegros verstanden, der das Zäpfchen schlimmer peitscht als die deutsche Domina.


"Hospiz" hieß das Asyl übrigens im Altdeutschen, womit wir eigentlich schon fast in Beaune wären. Und von dort ist es dann wiederum nur ein ordentlicher Pflastersteinwurf bis in die Champagne. Deswegen haben wir im Angesicht des Flüchtlingsdramas beschlossen, uns mal wieder dem Thema Champagner zuzuwenden. Logisch, oder?


Wie der Weinigel so ist, serviert er den Gästen zur Erstaufnahme zunächst einen Piraten. Den Rosé 2013 vom Reichsrat von Buhl. Eine ziemliche Gemeinheit, denn das Zeug ist von der Finesse der Perlage her optisch durchaus für Champagner zu halten. Und anders als bei Rieslingsekt schlägt auch in der Nase keine "deutsche" Rebsorte so durch, dass man den Piraten gleich als solchen identifizierte. Denn bei Buhl setzt man voll auf den Spätburgunder. Feiner Duft, erdbeerig, sogar ein wenig kreidig wirkt das - keine Ahnung, wie die diese Mineralik aus den Pfälzer Böden rausholen. Am Gaumen cremig, ein Spürchen dropsig vielleicht auch. Erfreulich kräftig, gute Länge, zum Beginn des Abgangs ein leicht irritierender Bitterton, der sich dann aber gleich wieder gibt. Auch ein gewisser metallischer Hauch schwingt zwischendrin mal mit. Die meisten der anwesenden Experten fanden den Stoff für einen Champagner nicht überragend, haben ihn jedoch auch nicht als Piraten erkannt. 86 bis 87 Willipunkte, für einen Sekt dieser Preisklasse (14 Euro) absolut überzeugend!




Nun kam der erste Zuwanderer ins Glas. Der Liebling der besten Igelin von allen. Die, das weiß man, das ist bekannt, eine Vorliebe für den Rosé von Gosset hat. Also ließen wir uns zunächst den einfachen Rosé des Hauses schmecken. Schon recht reife Nase, toastig, leichter Briocheton, orangerote Frucht, himbeerig, dazu ein ordentlicher Klecks Kirsche. Am Gaumen ebenfalls schön reif, feine Perlage, sehr weinig, cremig, dicht und ziemlich tief. Eine Spur mehr Frucht hätte es durchaus sein dürfen, fand die Corona, freute sich aber an der guten Länge und am Druck, den das Zeug auch ohne kiloweise Frucht noch spielend an den Gaumen bringt. 90 von 100 Willipunkten. Nicht die beste Flasche, den hatten wir auch schon mit zwei Punkten mehr.

Im Wege des Familiennachzuges habe ich auch den großen Bruder in meinen Keller migrieren lassen. Den Celebris Rosé von Gosset aus 2007. Der setzte natürlich fröhlich einen drauf! Schöne pikante Nase, verhaltene rote Frucht, sehr nachdrücklich, füllt den voluminösen Riechkolben des Igels spielend aus. Am Gaumen weniger reif als der kleine Bruder, im Gegenteil, noch ein wenig zu jung und noch nicht wirklich entfaltet. Das war ja klar, das Zeug ist erst vor Kurzem auf die Flasche gezogen worden. Vor allem im Abgang merkt man das, wo er sehr puristisch auf der stahligen, fast kargen Seite spielt. Kommt aber mit Luft sehr schön, rote Früchte, leicht herbe Kräuter, wird weiniger, das Stahlige im Abgang bleibt allerdings. Nun gut, es ist auch nicht der Riesenjahrgang. Insgesamt waren wir der Meinung, dass der kleine Bruder das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis aufweist als der fast dreimal so teure Celebris. Der aber immerhin 92 von 100 Willipunkten bekommt.

Hier war schon klar, die Außengrenzen können wir gerne sichern und dicht machen, aber bitte nicht die zu Frankreich. Nicht auszudenken etwa, wenn unser nächster Gast, der Roederer Rosé 2009, nicht den Weg nach Deutschland gefunden hätte. Aber an der Grenze waren Benoit Poelvoorde und Dany Boon so damit beschäftigt, sich eine Maginotlinie Koks reinzuziehen, dass meine Schleuserarbeit zum Kinderspiel wurde. Boris Maskow hatte die Roederer-Plempe empfohlen. Was gleich den Charakter einer verbindlichen Durchführungsbestimmung für die Probe hatte, denn der Mann ist schließlich Jurist und in Sachen Champagner ziemlich unfehlbar. Es müsse ja nicht immer Cristal sein, meinte Boris, ließ aber durchaus durchblicken, dass man den hinterher auch noch probieren könnte. Aber erstmal der "einfache" Jahrgangsrosé. Sehr feiner Duft! Blüten, viel Florales, eine ordentliche Portion kreidige Mineralität, dazu dezente rote Frucht, reif, würzig, Klasse! Am Gaumen rund, noch leicht hefig, ein Scheibchen Brioche, dicht gefolgt von den floralen Tönen aus der Nase und den kreidigen Elementen. Sehr kräftige Säure, die er aber exzellent wegsteckt. Sie spielt schön mit der Mineralität und der Kreide. Die Frucht kommt vor allem im langen, saftigen, vollen Abgang heraus. Feine Perlage, mit genau dem richtigen Maß an Prickel, jetzt perfekt zu trinken, das Zeug haben wir exakt auf dem Höhepunkt erwischt, wahrscheinlich kann es aber auch noch ein paar Jahre liegen. 94/100, wohl der Preis-Leistungs-Sieger des Abends. Für etwa 60 Euro zu haben, zum Beispiel bei Britta Thomas in Siegburg, da kann man nichts sagen.



Natürlich musste nun auch noch der Cristal in das nach ihm benannte Glas. Wir hatten den Rosé aus 2005. Noch sehr hefig in der Nase, dahinter aber viel schöne rote Frucht, die mit mehr Luft immer prägnanter in den Vordergrund tritt. Am Gaumen pure Cremigkeit, viel Hefe im Anklang, noch wahnsinnig jung, wunderbare Kraft. Tiefe ohne Ende, sehr weinig, ewig lang und nachdrücklich im Abgang. Der hört überhaupt nicht mehr auf. Kommt im Glas mit Luft, bringt nach einer halben Stunde deutlich mehr Frucht, entwickelt sogar schon nussige Töne. Sehr fein eingebundene Säure, viel Saft, ein perfekt gemachter Champagner, der auch aus diesem mittleren Jahr ein überzeugender Cristal werden dürfte, im Moment aber noch nicht ganz da ist. Wer ihn im Keller hat: Weglegen, mindestens drei Jahre warten! 95 von 100 Willipunkten, mit dickem Pluszeichen, das kann noch zulegen.


Der Bollinger ist ja eigentlich ein Fall von Rückführung ins Heimatland. Joseph Jacob Bollinger aus Ellwangen hat das Haus vor 185 Jahren gegründet. Die damaligen Fluchtgründe sind spätestens mit der Machtübernahme durch Winfried Kretschmann entfallen. Und wenn denn schon der olle Bollinger-Jupp ohne Störung der Totenruhe nicht mehr zurückgeführt werden kann, so doch immerhin seine Weine. Zum Beispiel der einfache Bollinger rosé. Sehr schöne rotfruchtige Nase mit reichlich Brioche und Toast. Am Gaumen feine himbeerige Frucht, zunächst eine Spur eindimensional. Vor allem aber für den Geschmack praktisch der gesamten Probecorona mit deutlich zu viel Dosage unterwegs. Auch im - nicht sehr langen - Abgang dominiert die Süße, die die Frucht fast ein wenig aufgesetzt wirken lässt. Wir waren schnell bei der Hand, das Zeug abzumeiern, auf hohem Niveau versteht sich, knapp 90 Punkte wollen wir ihm schon noch geben, mehr aber sicher nicht. Zum Glück blieben etwa 2dl in der Flasche, so dass ich in der Nacht, spät nach Abfahrt der Gäste und den anschließenden Aufräumarbeiten noch einmal nachprobieren konnte. Ein völlig anderer Wein, viel differenzierter, offener, die Süße war plötzlich genau richtig, der hatte auf einmal lässige 92 Punkte. Und es lag nicht daran, dass ich bis dahin promilletechnisch so Land unter gehabt hätte, dass langsam selbst der Dornfelder zu schmecken begonnen hätte. Wobei dieses rätselhafte Phänomen aber auch aus eigener Erfahrung durchaus bekannt ist, ebenso wie das seltsame Rätsel des "ach, den haben wir gestern auch noch getrunken, davon weiß ich ja gar nichts mehr", wenn man im Leergut der Probe eine leere Mastkalbflasche findet, die man für einen besonderen (anderen!) Anlass aufgehoben hatte. Galileo Mystery wird diese paranormalen Erscheinungen sicherlich zeitnah untersuchen. Um ganz sicher zu gehen, hob ich mir das letzte Deziliterchen Bollinger für den nächsten Tag auf. Und stellte fest, dass der Champagner sogar noch besser geworden war. 92 bis 93 Willipunkte.


Auch bei der Rückführung nach Deutschland gilt das Recht auf Familienzusammenführung. Also schoben wir gleich den Bollinger Grande Année rosé 2004 hinterher. Die bislang kräftigste Nase, ordentlich Frucht, dazu briochige Noten und etwas Toast. Vielschichtig, füllt die Nase bis zur Nebenhöhle. Leicht räuchrig, das mag ich eigentlich nicht so, hier wirkt es aber interessant. Am Gaumen eine fast perfekte Mischung aus Rotfruchtigkeit und kreidiger Mineralik. Zunächst kommt eine Fruchtfanfare, die es irgendwie schafft, gleichzeitig kräftig und fein daher zu kommen. Dann schaltet sich die Kreide zu, macht das Ganze samtig. Tief und unendlich lang ist das sowieso, schöne nussige Töne im Abgang. Viel besser geht Roséchampagner eigentlich kaum, gerade diese Tiefe bis ganz zum Ende des Abgangs bringen selbst große Erzeuger nicht immer auf die Flasche. Für die meisten aus der Runde der beste Champagner des Abends, nur einer findet im Abgang einen Bitterton und sieht die Grande Année auch sonst nicht auf Augenhöhe mit dem Cristal. Für mich 95 bis 96 von 100 Willipunkten.


Zum ersten Mal in meiner langen Champagnerkarriere bekam ich nun den Jacquesson Terres Rouges 2008 vor die Flinte, ausschließlich aus den Lagen von Dizy erzeugt. Da die Weißen von Jacquesson fast immer exzellent sind, lag die Erwartungslatte ziemlich hoch. Und wurde dramatisch gerissen. Denn was wir da ins Glas bekamen, wirkte zunächst einmal wie ein deutscher Rotsekt. In der Nase alles andere als fein, da protzt eine satte rote Fruchtbombe und macht einen auf dicke Hose. Johannisbeere, Kirsche (gibt es auch Kirschenasyl?), etwas Weinbergspfirsich. Dazu ein seltsamer Hauch Salbei. Keine Mineralik, keine Rösttöne, kein Hauch von Champagner. Am Gaumen zum Glück etwas weniger einseitig, ganz angenehme Würze, letztlich aber auch hier von der roten Frucht dominiert, die alles andere an die Wand drückt. Ein wenig parfümiert, im Abgang kommt dann auch noch zuviel röstiges Fasstannin hinzu. Für einen 80 Euro-Champagner eigentlich indiskutabel. Wir notierten 84 von 100 Punkten und stuften den Wein fast als Fluchtgrund ein. Aber auch hier gab es eine Auferstehung. Ich "vergaß" den stattlichen Rest, der in der Flasche verblieben war, drei Tage im Kühlschrank, und am vierten Tag war es ein deutlich runderer Champagner, die Frucht zurückhaltender, die Röstaromen dezenter. Und plötzlich auch Champagnertypizität, Mineralik und sogar eine gewisse Cremigkeit. Kratzte plötzlich an der Neun vor dem Komma! Natürlich war auch dieser Tropfen relativ jung, dass er aber mit Luft derartig würde zulegen können, hat mich dann doch komplett überrascht. Auch die Probencorona, alles wahrlich keine Newcomer auf dem Champagnerterroir, hätte ihm das nicht zugetraut.


Den krönenden Abschluss kann in den Gefilden der Kölner Seilschaft natürlich nur einer bilden. Der Dom! Dom Perignon in Rosé, aus dem exzellenten Jahrgang 2004. Frisch gefüllt, hier waren wir seelisch also schon darauf eingestellt, dass es schwierig werden könnte. In der Tat war die Nase noch sehr stark von den Toastnoten dominiert, dazu nussige Töne und nach etwas Zeit im Glas auch eine kräftige Frucht. Am Gaumen muss man auf die Frucht nicht warten. Sie drängt sich gleich nach vorne, Johannisbeere, etwas Himbeere, fast schön likörig, angenehm süßlich, wenn auch ohne jeden Restzucker. Dazu natürlich auch hier die Rösttöne, die er mit der Zeit sicher noch abbauen wird. Nachdruck pur, der Kräftigste von allen! Aber auch ein wenig Brechstange. Im Abgang dann Nuss ohne Ende, ewig lang, großartige Tiefe. Kommt mit Luft noch ein gutes Stück aus der Reserve, zeigt aber noch nicht wirklich, was er kann. Leider blieb von diesem Tropfen nichts übrig, den hätte ich auch sehr gerne mit ein paar Stunden bis Tagen Abstand nachverkostet. So waren es 92 bis 93 von 100 Willipunkten, ich traue ihm aber auch zu, dass er noch zwei bis drei Punkte zulegen wird.

Insgesamt eine ziemlich hochwertige Probe, die aber auch noch einmal sehr deutlich gemacht hat, dass Roséchampagner noch zickiger als die Weißen sein können, wenn man sie nicht zum richtigen Zeitpunkt erwischt. Timing ist alles, wir arbeiten dran, es beim nächsten Mal besser zu machen, und ich bin sicher, Wir! Schaffen! Das!


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