Vierschänkentournee Teil 6Heute: Assiette Champenoise Arnaud Lallement

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Heute: Vierschänkentournee Teil 6



Fußball-Weltmeisterschaft, endlich! Aber, wenn man sich das so anschaut und die Herren aus den 32 Mannschaften so mit den Teams bei der Damenweltmeisterschaft vergleicht, kommt einem der schreckliche Verdacht, dass die Männer mittlerweile mehr Zeit beim Friseur, vor dem Spiegel und wahrscheinlich sogar bei der Kosmetikerin verbringen als die Frauen.

Früher, ja früher, da hießen Fußballer Hans-Peter Briegel. Und sahen auch so aus. Hans-Peter Briegel, das klingt nach zwei Eimern Schweiß pro Spiel, nach Walz von der Pfalz, nach "über den Kampf zum Spiel finden". Früher, da hießen Fußballer Hans-Peter Briegel - und sie wurden Europameister. Heute heißen Fußballer Ronaldo, haben die Haare schön und scheiden in der Vorrunde aus.

Früher, ja früher, da hießen Fußballer Horst Hrubesch. Und sahen auch so aus. Horst Hrubesch, ein Gesicht wie ein Hauklotz. Und so spielte der auch. Ja, früher, da hießen Fußballer noch Horst Hrubesch und gingen wie ein Mähdrescher durch die kaum größer als Grashalme erscheinenden Beine der gegnerischen Abwehr. Und schossen die beiden entscheidenden Tore im Finale der Europameisterschaft gegen Belgien. Heute heißen Fußballer Marco Reuss, lassen sich am ganzen Körper beschriften und bemalen und fallen nach leichteren Fouls gleich für Monate aus.

Früher, ja früher, da hießen die Fußballer Klaus Augenthaler. Und sahen auch so aus, die Frisur war ein Pottschnitt, wenn man überhaupt von Frisur sprechen durfte. Früher hießen die Fußballer Klaus Augenthaler. Und spielten auch wie ein Klaus. Deutsch, ruppig, wenn da der Gegenspieler mit vollständigen Extremitäten wieder vom Platz gehen durfte, waren die Klaus Augenthalers nicht richtig bei der Sache oder hatten sie einen schlechten Tag. Heute heißen die Fußballer Pierre-Emerick Aubameyang, haben die Haare nicht mehr gleichmäßig über den Kopf verteilt, sondern oben einen Hügel als hätten sie in die Steckdose gefasst und an den Seiten gar nichts mehr, als wären sie an der Räude erkrankt. Wenn die Aubemeyangs verletzt sind, rufen sie nicht die Physiotherapeuten auf den Platz, sondern ihren Coiffeur. Sie scheiden mit Gabun in der WM-Qualifikation aus, während die Augenthalers seinerzeit die WM mit Glanz und Gloria gewannen.

Früher, ja früher, da hießen die Fußballer Klaus Hölzenbein. Und sahen auch so aus. Und geholzt haben sie, dass die Heide wackelte. Früher, ja früher, da hießen die Fußballer Klaus Hölzenbein und sichelten im Alleingang das komplette holländische Team ins Krankenhaus. Ohne Schienbeinschoner, versteht sich. Heute heißen die Fußballer Neymar oder Pirlo, sehen aus als würden sie beim leisesten Windstoß umfallen. Und das tun sie auch, zumindest im gegnerischen Strafraum. Man wartet immer drauf, dass Neymar seine Barbie auspackt oder der kleine Pirlo ausgerufen wird, weil seine Mami ihn aus dem Spielerparadies abholen will.

Heute, ja heute, da spielen die harten Typen bei der Frauen-WM. Oder sie heißen Thomas Müller und sehen auch so aus. Diese Thomas Müllers werden Torschützenkönig und können im Alleingang Spiele, wenn nicht gar Turniere entscheiden. Die Thomas Müllers sind die Fußballer vom alten Schlag, die die Vergangenheit auferstehen lassen und uns hoffen lassen, dass unsere Herren irgendwann mal wieder zumindest so erfolgreich abschneiden könnten wie die Damen-Elf. Die Thomas Müllers werden es richten. Und die Mertesackers, bei denen das Ackern schon im Namen Programm ist, sie werden uns an 1954, 1974 und 1990 anknüpfen lassen!

Soweit die Wahrheit aufm Platz. Was ist nun aber aufm Teller? Die gleiche Geschichte! Früher, ja früher, ich werde nicht müde es den Lesern dieser kleinen Kolumne zu erzählen wie Opa vom Krieg, früher gab es Saucen. Da kam es nicht auf die Optik an, da musste der Friseesalat nicht zum Friseur und Kaviar nicht zur Kosmetikerin, bevor das Zeug auf den Teller geschlichtet wurde. Früher, ja früher, da wurde man satt, und satt sehen konnte man sich trotzdem an den Sahnespiegeln auf den Tellern, den Buttersaucen und den Morchelrahmtunken. Früher war noch nix mit molekular und Brausekrümel. Da hießen die Köche Troisgros (drei Dicke) oder Robuchon und kochten, bis dem Gast das Wams krachte! Und heute? So wie die tätowierten Jüngelchen auf dem Fußballrasen mehr Chi-chi machen als Tore, so machen die Modeköche mehr Koloratur als Kalorie. So kann ich mein Gewicht nie und nimmer halten, es droht die Abmagerung.

Es sei denn, man pickt sich die Rosinen sehr sorgfältig aus dem Kuchen der Sternekocherei heraus. Zum Beispiel in Reims, wo Arnaud Lallement sich standhaft weigert, jeden Modeblödsinn mitzumachen. Also auf zum Auswärtsspiel in Frankreich, nach Jahren musste ich die Küche der Assiette Champenoise endlich mal wieder testen.

Das Ding versteckt sich ein wenig in einem eher nicht so repräsentativen Vorort. Zwischen heruntergekommen Banlieuehäusern tut sich plötzlich eine Auffahrt auf und es geht zu einem stattlichen Herrensitz mit parkähnlichem Garten. Auch die Terrasse hat Stil, da kann man wunderbar den Apero nehmen und sich seelisch auf die folgende Schlemmerei vorbereiten.

Da bin ich dann auch gleich schon beim größten Kritikpunkt des Abends, den Getränken. Der einzige verfügbare Roséchampagner (Franck Pascal Tolérance Brut Rosé) war eines Dreisternetempels nicht würdig und der glasweise vermarketenderte weiße Rothschild-Champagner ebenfalls eher belanglos, da hätten wir besser den Cristal aus 2005 geordert, den es auch glasweise gegeben hätte. Auf der Weinkarte, herrjeh, das muss nicht sein, haut Lallement einem Koeffizienten um die Ohren, die höher ausfallen als das Stockmaß von Traktor Mertesacker. Für einen Lanson Gold Label Vintage 2004, im Cora-Supermarkt nebenan für 31 Euro zu haben, werden 153 Euronen fällig, Faktor fünf. Bei den Bordeaux, Rhôneweine und Loiregewächsen sind Multiplikatoren von acht bis zehn keine Seltenheit. Ich wollte eigentlich nur einzelne Flaschen davon kaufen, nicht gleich das Weingut... Also entschieden wir uns dafür, das große Menü (198 Euro) mit ein paar nicht ganz so heftig bepreisten Champagnern zu begleiten.

Genug gemosert, denn nun kamen die Amuses, und die machten schon Freude! Paellaschaum auf Crackern, grandios! Dann feiner Tartar auf einer Art gepufftem Reis, köstliche Erdnussmarshmellows und - eher nicht so originell aber phantastisch abgeschmeckt - Ziegenkäsecreme mit Schnittlauch.


Weiter ging es mit einem grundgenialen Kartoffelschaum mit italienischem Schweinespeck, der leicht angeröstet einen würzigen Akzent und einen krossen Texturkontrast zum sämigen Schaum setzte. Einhellige Begeisterung am Tisch.


Strittiger wurde dann der erste Gang des eigentlichen Menüs kommentiert, Gänsestopfleber in püreeähnlicher Konsistenz, mit Raspeln von der Limonenschale. Dem Scheff war es zuviel Limone, die machte ihm die Räume am Gaumen etwas eng. Die anderen fanden es gerade recht, nur hätte der Klecks Leber gerne drei- bis viermal so groß sein dürfen, davon hätte ich unbedingt mehr verschlingen wollen! Lediglich der einreduzierte und viel zu saure Balsamico am Rand des Tellers passte gar nicht zum Rest. Waren auch nur drei Tröpfchen, offenbar mehr Deko als Bestandteil des Gerichts. Generell, das darf man vorweg nehmen, hat Lallement keine Angst vor Säure, auch wenn die manchmal ins Bittere zu kippen droht, offenbar hat er gerne einen Ausputzer am Zäpfchen.


Zu den Amuses und den Vorspeisen ließen wir übrigens die 7 Crus von Agrapart auffahren, für 87 Euro, das ist reell, ein anpassungsfähiger Begleiter, der die unterschiedlichen Genüsse recht gut ergänzte, vor den Limonenschalenraspeln allerdings erstmals kapitulieren musste.


Noch ein Leitmotiv der Lallementküche, in dieser Liga eigentlich eine Selbstverständlichkeit, das perfekte Ausgangsprodukt. Hier nimmt man das besonders ernst, manches war mehr eingekauft und angerichtet als zubereitet. Wie zum Beispiel die zehn, elf unterschiedlichen Tomatensorten, die den Tomatencanelloni umrahmen, der kalt auf den Tisch kommt, fast von rohem Teig, mit einer schmackhaftem Tomatenconcassé und einer Art Frischkäse gefüllt. Der Star ist aber nicht die Teigware, wiewohl auch diese trefflich mundet, sondern die Mannschaft drumherum, elf Tomaten müsst Ihr sein, jawohl! Jede für sich unendlich intensiv, Weltklasse. Einige waren noch mit ein paar Kräuterblättchen oder einem Crackerchen verfeinert. Dazu das kulinarische Understatement des Jahres, "Tomatenwasser", eine klare Gazpacho aus Tomaten, Gurken, Zwiebeln, nur die Paprika fehlte zum Klassiker. Das "Wasser" kam im Champagnerglas, und da gehörte es auch hinein. Sowas von intensiv und fein, vier Sterne, mindestens!


Es folgte der Hummer blau - wenigstens der ist blau, wir werden es angesichts der Koeffizienten der Weinkarte an diesem Abend sicher nicht werden :-)  Ein halber Hummerschwanz für jeden von uns, die Scheren gibt es dazu, kleingemetzelt auf einer Kartoffelscheibe drapiert. Das Ganze schwamm in einer weltklassigen Weißweinbeurreblanc. Gleichzeitig das dritte Leitmotiv der Küche Lallements, es gibt Saucen, jawoll! Nun waren diese, auch das darf man vorweg nehmen, mindestens dreimal auf Beurre Blanc-Basis entwickelt und damit vielleicht nicht ganz so abwechslungsreich wie Puristen das verlangen mögen. Aber, das Zeug ist einfach genial, sahnig, voll, trotzdem soooo fein, diese Sauce umdribbelt die Papillen, spielt mit der Zunge und dem Gaumen, kommt ganz langsam zum Abschluss und macht dann ganz beiläufig im Abgang das Tor.


Auch der marinierte, lauwarm angerichtete schottische Wildlachs mit Frühlingsgemüsen schwamm in perfekter Beurre Blanc. Ja, auch da war nicht viel gekocht, eher ist hier einfach nur ein Spitzenfisch mariniert und mit einer sensationellen Sauce angerichtet worden. Aber das reicht ja. Ich hätte die zwei, drei winzigen Ringelchen von Frühlingszwiebeln noch weggelassen, die oben drauf lagen und den feinen Geschmack eher störten als abrundeten. Aber das ist Jammern auf höchstem Niveau, der Lachs war grandios. Punkt, Schluss, aus, aus, aus, das Spiel ist aus!


Auf den Fersen folgte ihm ein Petersfisch mit Artoschocken und Petersiliensauce. Na ja, so ganz kam der mit den Knüllern davor nicht mit. Sehr guter Fisch, keine Frage, auch perfekt gebraten, doch fehlte mir nicht nur die Prise Salz, die ich verstohlen nachwürzte, sondern auch ein Spürchen der Pfiff. Wie englischer Fußball, Volldampf nach vorne, aber ohne Eleganz. Wobei die Petersiliensauce, wieder einmal auf reichlich buttriger Basis, das fast komplett ausglich, ein Spiel hat 90 Minuten, ein Löffelchen davon hat 90 Kalorien, aber was solls, angesichts solcher Saucen besteht Abstiegsgefahr, ja Abstieg, ich steige einfach von der Waage runter!


Etwa an dieser Stelle ging uns der Agrapart aus und wir stiegen auf den Grand Cru de la Rive Gauche von Bereche um. Fehler! Das Zeugs ist teilweise im kleinen Holz ausgebaut und schmeckt zu sehr danach. Lattentreffer! Aber sowas hat ja auch seine Fans, zum Beispiel den Scheff, also musste es sein.

Ich tröstete mich mit den drei Ravioli mit Kalbfleisch auf Erbsenpüree, die als nächstes auf den Tisch kamen. Und die hatten es in sich. Unter die Erbsen war eine extrem kräftige Sauce gerührt, diesmal weniger buttrig, das wirkte eher wie Ochsenschwanz. Also geschmort, einreduziert wie das spielerische Repertoire von Rooney, rotweinig, dicht!


Damit liefen die Ravioli dem folgenden Gang, dem Taubenfilet mit in Nudeln gefüllter Taubenleber ein wenig den Rang ab. Gute Fleischqualität, perfekte Zubereitung, kräftige Sauce. Doch fehlte mir hier auch ein klein wenig der Pfiff, der aus stillem Glück tosende Begeisterung macht. Zumal die in die Beilage gestreuten Radistückchen mit dem Taubenfleisch nur begrenzt harmonierten.


Es folgte die Käseplatte. Mit etwa 15 Sorten gut aber nicht angeberisch sortiert, dafür waren alle vier von mir ausgewählten Häppchen voll auf dem Punkt.


Einlauf der Mignardises: Solide aber nicht weltbewegende Canelles, sehr feien Zitronenküchlein, Pralinés mit Yuzu-Füllung, köstlicher Waldbeerenkaramell und ein guter Nougat.


Grandios dann das eigentliche Dessert rund um die Himbeere. Früchte von anderen Stern. Nicht mehr kunstvoll, sondern geradezu künstlerisch angerichtet, im griechisch-römischen Stil. Mit einer Himbeermarksauce so hochkonzentriert wie Khedira beim Strafstoß. Dazu ein perfekte Sablékeks, Sahne, ein paar ankandierte Kirschen, Weltklasse!


Im Saldo war der in diesem Jahr neu errungene dritte Stern hochverdient. Vielleicht reicht es nicht ganz für meine Top Fünf weltweit, aber das war schon absolute Championsleague. Die schwachen offenen Champagner verzeihe ich mal großzügig, zumal der Cristal mit 36 Euro das Glas eine angemessen bepreiste hochwertige Alternative zum Rothschild gewesen wäre. Hätte man sich halt leisten sollen. Hauptkritikpunkt bleiben die prohibitiven Koeffizienten beim Wein, ansonsten wenig Grund zur Kritik. Service, Einrichtung, Stil, alles stimmt - und auf dem Teller ist der Weg zur Perfektion nicht weit. Darauf musste ich Arnaud Lallement natürlich erstmal die Pfote geben!

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